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Kiel verlängert Pilotphase mit KI-Messsystem „Cortexia“

Mehr Testfahrten für breiteres Datenspektrum.

Der Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel (ABK) hat sich mit Remondis Digital auf eine Verlängerung der Testphase für „Cortexia“ verständigt. Das KI-gestützte Abfall-Messsystem soll nun zweieinhalb Monate länger getestet werden, als ursprünglich geplant, um das Spektrum der gesammelten Daten zu erweitern. Dadurch erhofft sich der ABK, auch saisonale Unterschiede im Abfallaufkommen auf Kiels Straßen zu ermitteln.

Mithilfe von „Cortexia“ können über 20 verschiedene Abfallarten buchstäblich im Vorbeifahren per Kamera erfasst werden. Das System speichert dabei auch, wann und wo die Abfälle anfallen. Diese Daten ermöglichen es der Straßenreinigung, angemessen auf das ortsspezifische Abfallaufkommen auf den unterschiedlichen Straßen einzugehen. Unter anderem können Karten von Abfall-Hotspots erstellt und Ressourcen punktgenau eingesetzt werden. Mithilfe solcher Heatmaps wurden in Kiel zuletzt beispielsweise die Standorte spezieller Aschenbecher – sogenannter Kippster – überprüft. Zwei der 20 Kippster konnten auf Basis der KI-Daten anschließend umgesetzt und effizienter genutzt werden.

Das Pilotprojekt war bereits im Juni zur Kieler Woche angelaufen und hätte ursprünglich am 20. September enden sollen. Durch die Verlängerung sollen nun unter anderem Zusammenhänge zwischen Touristenströmen und Littering in der Stadt untersucht werden. Die bessere Datenlage wird letztlich auch als Entscheidungsgrundlage dafür dienen, ob eine dauerhafte Nutzung von „Cortexia“ für die Stadt sinnvoll ist.

Wie gelingt Kiel der Schritt in eine moderne Stadtsauberkeit mit Cortexia? 

Interview mit Jens Krause, Abteilungsleiter Straßenreinigung Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel.

Herr Krause, als Abteilungsleiter Straßenreinigung beim Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel (ABK) sind Sie bereits seit mehr als 30 Jahren Experte für Stadtsauberkeit in der Landeshauptstadt. Sie haben als Straßenreiniger angefangen, waren Vorarbeiter, Teamleiter, erst kam die Ausbildung zur Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft, dann machten Sie den Meister, wurden Sachbereichsleiter und sind seit knapp drei Jahren Abteilungsleiter in der Straßenreinigung. Kurzum: Kiel und seine Wege kennen Sie quasi wie Ihre Westentasche. Wie sauber sind Kiels Straßen aus Ihrer Sicht? 

Jens Krause vom ABK wünscht sich noch mehr Daten zum Abfall auf Kiels Straßen (Foto: LH Kiel / ABK)

Aus unserer Sicht ist Kiel faktisch sehr sauber. Es gibt in der Tat eine gefühlte und fachliche Sauberkeit. Ein Beispiel: Ein Abfallbehältnis läuft über, die nächsten fünf aber sind noch ziemlich leer, dann beurteile ich das sachlich als sauber. Ein Bürger aber vielleicht weniger, da er nur den einen Moment an dem einen Platz wahrnimmt. Oder: Wenn das Laub fällt und wir die Straßen laut Satzung reinigen, dann empfinden diejenigen es als weniger sauber, bei denen vielleicht gerade noch nicht gereinigt wurde.

Unser hoheitlicher und per Satzung geregelter Auftrag ist die Reinigung der öffentlichen Straßen, Wege und Radwege. Hierzu haben wir in den vergangenen Jahren viele Daten gesammelt und ausgewertet, Erfahrungen aus dem Alltag mitgenommen und so die passenden Reinigungsrhythmen auf die jeweiligen Örtlichkeiten zugeschnitten. Diese passen wir immer wieder an. Dazu sind wir zudem im ständigen Austausch mit anderen Ämtern. Was wir nicht beeinflussen können, das ist das veränderte Verhalten der Menschen.

Zwei Zahlen zu unserer Leistung: Die ABK-Straßenreinigung reinigt wöchentlich 1590,23 Kilometer Straße, das entspricht im Jahr einer 2,1-maligen Erdumrundung (40.030 Kilometer) und wir betreuen 3.200 öffentliche Papierkörbe, die 553.176 Mal pro Jahr geleert werden.

Wie wurden die Daten zum Abfallaufkommen auf Kiels Straßen bislang erhoben und was konnten Sie dabei feststellen?

Wir kennen das Volumen unserer Abfallbehälter und messen auch das Abfallvolumen, das wir damit einsammeln. Was dabei auffällt, ist, dass wir in den letzten Jahren sehr viel mehr Abfall in den Mülleimern verzeichnen als noch vor Corona. Wir reden hier von etwa 30 Prozent Steigerung. Zugleich sind aber die Beschwerden über Verschmutzungen zurückgegangen – was für uns ein Indiz ist, dass wir unsere Arbeit offenbar gut machen.

Wie erklären Sie sich diese Zunahme an Abfall im öffentlichen Raum?

Ich verwende hierfür gerne die Bezeichnung „mediterraner Lebensstil“. Seit Corona gehen die Leute mehr raus. Man verbringt öfter seinen Feierabend oder seine Freizeit am Wochenende draußen. Familien kommen vom Einkaufen direkt in den Park, wo die Kinder spielen können, setzen sich dort hin, essen dort und lassen natürlich auch ihren Abfall dort. Das ist mittlerweile ein deutschlandweites Phänomen, das es überall zu beobachten gibt – von München bis Flensburg.

Was hat die Stadt dazu bewogen, Cortexia zu testen?

Wir als Straßenreinigung freuen uns über dieses Pilotprojekt, da wir jetzt erstmals auf KI-Basis Daten sammeln und auswerten können. Das gab es bislang nicht und wir sind gespannt, was am Ende die KI uns an Informationen liefern wird.

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von dem Messsystem?

Zunächst einmal erhoffen wir uns, dass unsere eingesetzten Teams und unsere geplanten Touren bereits sehr gute Arbeit leisten und wir dies nun erstmals neutral nachweisen können. Natürlich wird es interessant, was die aufgenommenen Abfallfraktionen uns für den Arbeitsalltag an weiteren Informationen liefern. Können wir etwa unsere Ressourcen – ob Mensch, ob Maschine – gezielter und effizienter einsetzen? Die Auswertungen könnten uns da behilflich sein.

In Kiel wurden zuletzt Zigarettenstummel-Hotspots mithilfe des Systems identifiziert, um zu prüfen, ob diese mit den Standorten sogenannter Kippster übereinstimmten. Ging es dabei vorrangig um einen allgemeinen Test zur Nutzung der gesammelten Daten oder schon ganz konkret um eine Optimierung der Ressourcenverteilung?

Da Zigaretten ein immer größer werdendes Problem und eine Gefahr für die Umwelt sind, haben wir die Kippster oder Kippenorakel zusammen mit dem Umweltschutzamt / Zero Waste der Landeshauptstadt als Projekt installiert. Jede Kippe, die nicht auf dem Boden landet, ist ein Erfolg, und pro Kippster können wir etwa 800 bis 1.000 Zigarettenstummel verzeichnen.

Den KI-Test machen wir nicht explizit, um zu schauen, welche Kippster-Standorte gut sind, sondern um allgemeine Daten zu bekommen. Selbstverständlich ergeben sich aus diesen dann gegebenenfalls auch Änderungen für die 20 Projekt-Standorte der Kippster. Zwei von den Zigaretten-Behältnissen haben wir bereits aufgrund der KI-Daten aus dieser kurzen Testphase umgesetzt.

Nimmt das Problem mit den Zigarettenkippen tatsächlich zu?

Augenscheinlich ja. Der Zigarettenkonsum nimmt zwar insgesamt ab, doch fehlt vielen Rauchern heutzutage offenbar die Sensibilität für das Thema Abfall. Das ist eine Mentalität, die wir insgesamt bei Litterern beobachten. Die größten Litterer sind zwischen 24 und 32 Jahre alt, also eher jüngere Leute. Die haben oft die Einstellung, dass ihr Müll schon von irgendwem entsorgt wird, und werfen ihre Kippen teilweise ganz bewusst auf den Boden.

Eigentlich sollte die „Jungfernfahrt“ mit Cortexia unter Extrembedingungen während der Kieler Woche stattfinden. Das lief allerdings nicht wie geplant. Was genau ist passiert?

In dieser Frühphase gab es leider Probleme in der internen Abstimmung, was dazu führte, dass die Kehrmaschine nicht dort eingesetzt wurde, wo sie sollte, sondern in einem Randbereich. Das System hat zwar einwandfrei funktioniert, nur wurden eben nicht die Daten gesammelt, die wir uns wünschten. So gab es für uns praktisch keine Erkenntnisse zur Kieler Woche.

Seit dem Ende der Kieler Woche ist das Messsystem nicht mehr in der Innenstadt, sondern in Kiel Gaarden im Einsatz. Warum gerade dort?

Wir wollen Daten aus der Innenstadt und einem Stadtteil, der abfalltechnisch, sagen wir mal, ein wenig problematischer ist als andere Bereiche. Beide Orte unterscheiden sich durch zahlreiche Einflüsse: In der Innenstadt gibt es einen Strom von Besuchern, der etwa mit Zügen zu Veranstaltungen kommt, der die großen Kreuzfahrtschiffe ansteuert, und zudem eine hohe „Laufkundschaft“ – sie alle bringen hier entsprechend auch stets schwer einzuschätzende Mengen an Abfall mit. Alleine der Anteil der Touristen in Kiel ist im Vergleich zu 2022 um 41 Prozent gestiegen, das verändert auch die Ausgangssituationen. In Gaarden haben wir aufgrund der hohen Zu- und Wegzugsrate ganze andere Begebenheiten. Hier ändern sich die Einwohner zu 30 bis 40 Prozent im Jahr. Bei den vielen Umzügen fällt sehr viel Müll an, der oft direkt vor der Haustür illegal entsorgt wird.

Wird es noch andere Einsatzgebiete in der Pilotphase geben?

Nein.

Die dreimonatige Testphase mit Cortexia endet voraussichtlich am 20. September. Wie ist Ihr Eindruck von dem System bislang? Wird es eine Ausweitung der Nutzung geben?

An sich ist unser Eindruck sehr gut. Allerdings glauben wir, dass wir nach drei Monaten noch nicht die Erkenntnisse haben, die wir unserer Ansicht nach benötigen, um zu entscheiden, ob man so ein System dauerhaft einsetzen kann. Ich persönlich möchte gerne wissen, inwiefern das Littering mit den Kreuzfahrern und dem Tourismus zusammenhängt. Demnächst enden die Kreuzfahrten für dieses Jahr. Geht damit dann auch das Littering zurück? Für solche temporären Fragen brauchen wir noch mehr Daten und mehr Zeit. Deswegen haben wir gerade mit Remondis Digital vereinbart, die Pilotphase um zweieinhalb Monate zu verlängern.

Vielen Dank!

Quelle: Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel (ABK)

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