Der deutsche Gesundheitssektor steht mit einem Rohstoffkonsum von 107 Millionen Tonnen pro Jahr an vierter Stelle der deutschen Wirtschaftssektoren. Ansätze zur Ressourcenschonung speziell in diesem Bereich liegen oft nur verstreut vor und stehen bisher nicht im Fokus der Politik. Das Fraunhofer ISI zeigt in einer Studie Möglichkeiten und Potenziale auf, mit weniger Rohstoffverbrauch sowohl Gesundheitskosten zu senken als auch den Umweltschutz und die Gesundheit zu verbessern.
Fünf Prozent des gesamten deutschen Rohstoffkonsums werden im Gesundheitssektor verbraucht – das sind etwa 107 Millionen Tonnen, wobei es seit Mitte der 1990er Jahre eine Steigerung um etwa 80 Prozent gab und eine weitere Zunahme wahrscheinlich ist. Neben den hohen Rohstoffkosten beschleunigt ein großer Ressourcenverbrauch den Klimawandel, und das Gesundheitssystem ist mehr als andere Bereiche von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen, beispielsweise durch Hitzewellen und neue Infektionskrankheiten. Krisen wie die aktuelle Corona-Pandemie können den Ressourcenkonsum weiter erhöhen und damit das Problem verschärfen.
Handlungsempfehlungen
Aus all diesen Gründen lohnt es, die Ressourceneffizienz im Gesundheitssektor zu steigern, ohne dass dabei die Qualität der Versorgung oder die Wirtschaftlichkeit gefährdet werden. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI hat im Auftrag des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts neben einer Quantifizierung des Ressourcenkonsums prioritäre Handlungsfelder identifiziert und bereits bestehende Ansätze zur Ressourcenschonung untersucht. Unter der Einbeziehung von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Gesundheit und Ressourcenschonung entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daraus Handlungsempfehlungen für Chemikalien, Medizinprodukte, Bauen sowie Lebensmittel und Getränke.
Beim Chemikalienverbrauch, vor allem für Arzneimittel, ließen sich sowohl durch eine ressourcenschonende Produktion als auch durch Maßnahmen in der Versorgung Rohstoffe einsparen, zum Beispiel:
- ressourcenschonende und biologisch abbaubare Stoffe in der Herstellung bevorzugen sowie Forschung in diesem Bereich fördern
- Produktion in Deutschland stärken, um Einfluss auf Produktionsbedingungen zu haben und Lieferengpässe zu vermeiden
- bedarfsgerechte Packungsgrößen und angepasste Verfallsdaten, um Arzneiabfälle zu reduzieren
- Apothekerinnen und Apotheker mehr ins Medikationsmanagement einbeziehen
- individuelle Therapieansätze fördern und Entscheidungen partizipativ gemeinsam mit Patientinnen und Patienten treffen, um die Einnahmetreue und die Wirksamkeit zu verbessern.
Für Medizinprodukte (Verbands- und Hilfsmittel, OP-Material, Implantate, medizintechnische Geräte) lassen sich sowohl über produktspezifische Maßnahmen als auch über veränderte Prozesse Ressourcen einsparen, zum Beispiel:
- Verlängerung der Nutzungsdauer durch modular aufgebaute Geräte, die den Austausch von Komponenten ermöglichen
- Nutzung von Geräten durch Sharing- und Betreibermodelle intensivieren, statt neue Geräte zu (ver)kaufen
- einfache Medizinprodukte wiederverwenden und Material recyceln
- den Einkauf an ökologischen Kriterien orientieren.
Für ressourcenschonendes Bauen ist bereits viel Wissen vorhanden, das laut der Studie aber noch anwendungsfreundlicher bereitgestellt werden muss, zudem braucht es Anreize. Beispiele dafür sind:
- anwendungsfreundliches Informationsmaterial bereitstellen
- Aus- und Weiterbildungsangebote für ressourcenschonendes Bauen fördern
- Bund, Länder und Kommunen stärker vernetzen sowie Gruppen von Expertinnen und Experten für Austausch und Vernetzung einrichten
- nachhaltiges Bauen im Gesundheitsbereich durch geeignete Anreize fördern
- gesetzliche Rahmenbedingungen und Normen anpassen, zum Beispiel für Brandschutz und den Einsatz von Recyclingbeton.
Bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Getränken sind weniger Abfälle und Verpackungen sowie ressourcenschonende Produkte Möglichkeiten, den Rohstoffkonsum zu senken. Dies gelingt unter anderem durch:
- Synergien zwischen ressourcenschonender und gesundheitsfördernder Ernährung fördern, zum Beispiel durch die Verwendung pflanzenbasierter Produkte
- Erfahrungsaustausch über erfolgreiche Beispiele in der stationären Gesundheitsversorgung anstoßen
- Quoten für ressourcenschonende Lebensmittel und Mehrwegverpackungen einführen
- Investitionszuschüsse für modernere Küchen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen bereitstellen
- ausreichende Tagessätze in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen einführen, um saisonale und regionale Frischware zu kaufen.
Neben verbesserter Ressourcenschonung bei der Behandlung von Krankheiten sehen die Autorinnen und Autoren ein sehr großes Potenzial bei der Prävention: Sport, Ernährung und Psychotherapie können helfen, die Menschen gesund zu erhalten und so den Bedarf an kurativen Gesundheitsleistungen zu reduzieren. Deshalb sollten Gesundheitssystem und Politik hier einen Fokus setzen.
Das Thema stärker auf die politische Agenda setzen
Und noch etwas ist über alle Handlungsfelder hinweg nötig: Die Sensibilisierung und Motivation der Akteurinnen und Akteure im Gesundheitssektor. Dr. Katrin Ostertag leitet am Fraunhofer ISI das Competence Center Nachhaltigkeit und Infrastruktursysteme. Zusammen mit Dr. Tanja Bratan, der Leiterin des Geschäftsfelds Innovationen im Gesundheitssystem, hat sie die Studie zur Ressourcenschonung im Gesundheitssektor verantwortet.
Dabei hat sie herausgefunden, „dass das Thema Ressourcenschonung für die meisten Stakeholder im deutschen Gesundheitssystem eine eher untergeordnete Rolle spielt. Sie haben andere Prioritäten: wirtschaftliche Zwänge, Zeitdruck, Personalengpässe. Das sind alles wichtige Faktoren, aber da der durch den hohen Ressourceneinsatz mitverursachte Klimawandel gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung hat, muss das Thema stärker auf die politische Agenda gesetzt werden.“
Die Forschenden empfehlen, dass sich die Akteure aus Politik, Gesundheitssystem, Ressourcenschonung und Zivilgesellschaft im ersten Schritt der Durchführung eines Runden Tischs als ressortübergreifende Aktivität widmen, um so eine Gesamtstrategie für mehr Ressourceneffizienz im Gesundheitswesen zu erarbeiten.
Quelle Fraunhofer ISI