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Wie aus klimaschädlichem Kohlenstoffdioxid nützliche Chemikalien werden

Einem Forscherteam des Fraunhofer IGB ist es im Max-Planck-Kooperationsprojekt „eBioCO2n“ erstmals gelungen, Kohlenstoffdioxid in einer auf dem Transfer von Elektronen basierenden Enzymkaskade zu fixieren und in einen festen Ausgangsstoff für die chemische Industrie umzuwandeln. Das Verfahren zur elektrobiokatalytischen CO2-Fixierung wurde bereits publiziert und gilt als „Hot Paper“.

Durch Kombination verschiedener Ansätze aus Bioelektrochemie, Enzymbiologie und synthetischer Biologie wurden hierfür spezielle Bioelektroden entwickelt, um mit Strom aus erneuerbarer Energie Enzyme anzutreiben, die in einer gekoppelten Reaktion ähnlich der Photosynthese feste organische Moleküle aus dem Treibhausgas herstellen.

Ziel ist es, damit CO2 direkt aus der Luft abzuscheiden: „Das Verfahren könnte dann nicht nur dazu beitragen, dass die Industrie auf fossile Rohstoffe verzichten kann, sondern durch die CO2-Reduktion die Klimawende außerdem aktiv vorantreiben“, erklärt Dr. Michael Richter, Leiter des Innovationsfelds Bioinspirierte Chemie am Fraunhofer IGB. „Zunächst ging es uns jedoch darum zu zeigen, dass unsere Idee überhaupt funktioniert, eine solch komplexe biokatalytische Multienzym-Reaktion auf diese Art mit Strom anzutreiben.“

Hydrogel transportiert Elektronen für CO2-fixierende Enzyme

Mit Erfolg: Die Forschenden haben sich vom Stoffwechsel der Mikroorganismen inspirieren lassen und ein strombasiertes Verfahren für die CO2-Fixierung entwickelt. Hauptakteure sind CO2 fixierende Enzyme, die von den Kollegen Dr. David Adam und Prof. Tobias Erb, Direktor am MPI in Marburg, entwickelt wurden. Eine Herausforderung bestand nun darin, die CO2-fixierenden Enzyme kontinuierlich mit den für die Reduktion von CO2 benötigten Elektronen zu versorgen, die regenerativer Strom liefern kann.

Dr. Leonardo Castañeda-Losada bei der Entwicklung des elektrobiokatalytischen Verfahrens zur CO2-Fixierung (Foto: © Fraunhofer/Marc Müller)

Dies gelang durch Einbettung der Enzyme in ein redoxaktives Hydrogel, wodurch sie elektrochemisch so angetrieben werden können, dass sie Kohlenstoffdioxid an ein Substrat binden und damit in einen wertvollen Zwischenstoff umwandeln. „Das Verfahren ist ein sehr effizienter Reaktionsweg, eine reduktive Carboxylierung, die sehr ökonomisch und sauber abläuft, weil man keine weiteren Substanzen im System braucht – lediglich Kohlenstoffdioxid, Substrat und Elektronen, bevorzugt aus erneuerbaren Quellen“, erläutert Dr. Leonardo Castañeda-Losada, der in seiner Doktorarbeit auf dem Gebiet der Elektrobiokatalyse forschte und nun am Fraunhofer IGB gemeinsam mit Dr. Melanie Iwanow und Dr. Steffen Roth im Projekt arbeitet.

Die an der TU München am Lehrstuhl von Prof. Nicolas Plumeré eigens entwickelten Hydrogele, in denen die Enzyme ihre Arbeit verrichten, sind so modifiziert, dass sie Elektronen gut leiten und den Biomolekülen gleichzeitig optimale Arbeitsbedingungen bieten. „So können wir nicht nur Monolagen an Enzymen einsetzen, sondern dies auch dreidimensional um ein Vielfaches erweitern, da die Elektronen im Gel an jeden Ort geleitet werden. Das sind gute Voraussetzungen für eine zukünftige Skalierung des Verfahrens für die chemische Industrie“, verdeutlicht Prof. Volker Sieber, der am Straubinger Institutsteil des Fraunhofer IGB schon lange Strategien zur CO2-Speicherung verfolgt.

Cofaktoren werden gleichzeitig permanent regeneriert

Der völlig neue Ansatz der Forschenden beruht aber nicht nur auf der Tatsache, dass eine enzymatische Reaktionssequenz erfolgreich mit Strom angetrieben werden kann, sondern beinhaltet auch ein weiteres äußerst innovatives Modul: Damit die Reaktionen wie gewünscht ablaufen und am Ende eine möglichst hohe Produktausbeute steht, braucht es in dem Fall eine kontinuierliche Zufuhr an „Doping“ fürs Enzym: die passenden und funktionalen Cofaktoren.

Für den Prozess werden Enzymreaktionen kombiniert: eine für Bereitstellung und Regeneration des Cofaktors, eine für die CO2-Fixierung (Foto: © Fraunhofer/Marc Müller)

Diese kleinen, organischen Moleküle werden im Lauf jeder einzelnen Reaktion verbraucht und müssen regeneriert werden, um wieder einsatzfähig zu sein. Sie in großen Mengen neu bereitzustellen, ist sehr teuer und damit für die Industrie unwirtschaftlich. Deshalb haben die eBioCO2n-Experten eine Möglichkeit gefunden, um sie mithilfe von Strom innerhalb des gleichen Reaktionssystems in den Hydrogelen wieder erneuern zu können – theoretisch unendlich lange. „Eigentlich müsste man nur ein einziges Mal Cofaktor ins System geben, und dieser würde dann immer wieder automatisch regeneriert. Aber in der Praxis funktioniert das nur annähernd so gut, weil der Cofaktor nicht unendlich lange stabil bleibt – aber durchaus schon sehr lange“, sagt Richter.

Für den bioelektrokatalytischen Recyclingprozess der Cofaktoren steht den Forschenden sogar ein ganzer Werkzeugkasten an unterschiedlichen Enzymen zur Verfügung, die sie aus verschiedenen Organismen aufgespürt haben. So ist das Spektrum dieser Biomoleküle für weitere Arbeiten je nach Anwendung modulartig erweiterbar und als Plattformsystem verwendbar. „Man kann aus bioinformatischen Datenbanken praktisch beliebig Enzyme auswählen, diese biotechnologisch herstellen und in die Hydrogele einbauen“, sagt Richter. „So wäre die Herstellung verschiedener biobasierter Feinchemikalien denkbar, die man bei entsprechendem Ausbau über weitere Enzymkaskaden praktisch nach Bedarf diversifizieren könnte.“ Hier bringt insbesondere das Marburger MPI seine Expertise ein. Gelingt dies in einer entsprechenden Skalierung, könnte die Plattformtechnologie ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell für die chemische Industrie werden.

Plattformsystem soll beliebig erweiter- und skalierbar werden

In der „Glovebox“ wird die Funktionalität der Enzyme elektrochemisch unter Ausschluss von Luft gemessen (Foto: © Fraunhofer/Marc Müller)

ithilfe der bioinspirierten CO2-Fixierung aus dem Labor konnte man am Fraunhofer IGB ein Coenzym-A-Derivat carboxylieren, ein für viele Stoffwechselvorgänge in Lebewesen wichtiges Biomolekül. „Hierbei handelt es sich um das bislang anspruchsvollste Molekül, an das auf biokatalytischem Weg CO2 fixiert werden konnte“, erläutert Richter. „Das ist bei weitem nicht selbstverständlich, eine so große und strukturell anspruchsvolle Substanz mit dieser Technologie zu modifizieren.“

Nun steht für die Forschenden die letzte Herausforderung an: zu beweisen, dass ihre Idee zuverlässig und skalierbar funktioniert sowie modular erweitert werden kann. Am IGB ist man jedoch optimistisch, vor allem auch vor dem Hintergrund eines gut funktionierenden interdisziplinären Teams, wie der Wissenschaftler betont. In Folgeprojekten sollen dann auch möglichst schnell Industriepartner mit einbezogen werden.

Weitere Informationen zum Projekt

Das Projekt wird unter dem Titel „eBioCO2n – Stromgetriebene CO2-Konversion durch synthetische Enzymkaskaden zur Herstellung von Spezialchemikalien“ geführt und im Rahmen des Fraunhofer-Max-Planck-Kooperationsprogramms von Januar 2019 bis Dezember 2022 gefördert. Teile der Arbeiten wurden zudem über das ERC Starting Grant Redox SHields (715900) und das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie im Rahmen des Projekts „Zentrum für Energiespeicherung“ finanziert.

Quelle: Fraunhofer IGB

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