Stellungnahme des BNW – Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V.:
Deutschland hat ein Lieferkettengesetz. Nach Uneinigkeiten zwischen den Fraktionen und starkem Gegenwind von Industrieverbänden wie BDI und BDA geriet das Lieferkettengesetz seit Sommer 2020 immer wieder zwischen die Konfliktlinien und wurde zuletzt Mitte Mai kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestages genommen. Am 11. Juni 2021 verabschiedete der Bundestag nun das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten”. Damit tritt es 2023 in Kraft.
„Zwar konnten sich die herkömmlichen Industrie- und Wirtschaftslobbyverbände mit ihren Forderungen zur Abschwächung des Lieferkettengesetzes teilweise durchsetzen. Dennoch ist die Verabschiedung des Gesetzes ein absolut wichtiger Schritt in die richtige Richtung – hin zu mehr sozialer und ökologischer Verantwortung in der Lieferkette“, resümiert Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft.
Bis zuletzt haben sich Lobbygruppen wie der BDI, BDA und DIHK gegen das Lieferkettengesetz ausgesprochen. Auf Bestreben des Wirtschaftsministeriums wurde die zivilrechtliche Haftung nun vollkommen ausgeschlossen. Klaus Stähle, Fachanwalt für Arbeitsrecht und BNW-Vorstand ordnet ein: „Der Kompromiss zum Lieferkettengesetz mit dem Ausschluss zivilrechtlicher Haftung hat einen faden Beigeschmack. Zwar ist eine Haftung deutscher Firmen im Ausland durch das BGB vorgegeben, doch nur in seltenen Fällen werden die Betroffenen dieses Recht wahrnehmen. Eine explizite Erwähnung im Gesetz hätte deutlich mehr Wirkung gezeigt.“
Was Unternehmen ab 2023 für die Einhaltung von Menschenrechten tun müssen
Das ab 2023 in Kraft tretende Lieferkettengesetz wird zunächst für Unternehmen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland ab 3.000 Mitarbeitende gelten, ab 2024 dann für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitende. Für Unternehmen unter 1.000 Mitarbeitenden bedeutet dies, dass sie weiterhin keine Rechtssicherheit oder den entsprechenden Handlungsspielraum bekommen.
Vom Lieferkettengesetz betroffene Unternehmen sind dazu verpflichtet, bei ihren direkten Zulieferern Risiken zu ermitteln, die international anerkannte Menschenrechte und bestimmte Umweltstandards (in Bezug auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte) verletzen oder gefährden könnten. Für identifizierte Risiken müssen Unternehmen Gegenmaßnahmen implementieren sowie an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) berichten. Bei nachgewiesenen Verstößen werden Bußgelder verhängt und Unternehmen können bis zu drei Jahre lang von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Bei indirekten Zulieferern sind deutsche Unternehmen hingegen nur bei Kenntnisnahme über mögliche Risiken und Verstöße zu Nachbesserungen angehalten.
Als „ein Stück Rechtsgeschichte“ beschreibt Arbeitsminister Hubertus Heil das Lieferkettengesetz vor der Abstimmung im Parlament. „Unseren Wohlstand können wir nicht dauerhaft auf der Ausbeutung von Menschen aufbauen.“
Verzerrte Darstellung
In seiner Rede am 11. Juni fand Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller klare Worte für das „extrem starke Lobbying“ gegen das Lieferkettengesetz: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ – diesen Spruch möchte ich auch in den Büros der Arbeitgeberpräsidenten und -verbände in Deutschland hängen sehen.“
Entgegen der von Industrieverbänden bewusst verzerrten Darstellung, dass in Deutschland ansässige Unternehmen durch das Gesetz einem hohen Risiko ausgesetzt würden, ist es vielmehr so, dass deutsche Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen nicht haften, sofern sie alle möglichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen haben. Mit dem Lieferkettengesetz wird keine Erfolgspflicht, sondern eine Bemühungspflicht zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen für die Unternehmen durchgesetzt.
Zu den vielfach heraufbeschworenen Mehrkosten: Die Studie der EU-Kommission schätzt für große Unternehmen die Kosten auf durchschnittlich 0,005 Prozent ihrer Gewinne. Allerdings zeigen Praxiserfahrungen, dass auch mit höheren Steigerungen der Mehrkosten im Einkauf in den ersten Jahren zu rechnen sein kann (Risikoerfassung, Anpassung der Lieferkette). Hier müssen allerding die Kosten für die Unternehmen in Beziehung zu den Kosten für die gesamte Gesellschaft gesetzt werden. Jüngste Beispiele von deutschen Unternehmen (Tönnies, VW-Dieselskandal, Wirecard) zeigen, wie die gesellschaftlichen Kosten durch unethisches Wirtschaften in die Höhe getrieben werden – mit gravierenden negativen Auswirkungen auf das Gütemerkmal Made in Germany.
Für nachhaltig wirtschaftende Unternehmen ist die gesetzliche Verankerung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten ein wichtiger Meilenstein, da es ihre Grundwerte und jahrelangen, freiwilligen Investitionen als zukunftsweisend anerkennt. Durch die Beschränkung auf sehr große Unternehmen werden viele kleine und mittelständische nachhaltige Unternehmen weiterhin Wettbewerbsnachteile haben.
Denn dass es auch anders geht, zeigen viele der BNW-Mitgliedsunternehmen: So haben sich Vaude Sports GmbH & Co. KG, Wildling Shoes GmbH und Sono Motors GmbH mit weiteren Unternehmen in der BNW-Kampagne #transparentesWirtschaften für ein starkes Lieferkettengesetz eingesetzt und setzen die Anforderungen des Gesetzes bereits jetzt erfolgreich in ihrer Lieferkette um.
Ein Etappenerfolg
Das zivilgesellschaftliche Bündnis Initiative Lieferkettengesetz mit über 128 Organisationen wertet das Gesetz als Etappenerfolg und politischen Kompromiss. Sie fordern die Bundesregierung neben Nachbesserungen dazu auf, sich für ein starkes und wirkungsvolles Lieferkettengesetz auf EU-Ebene einzusetzen. Im legislativen Initiativbericht des Rechtsausschusses des EU-Parlaments gehen die Anforderungen weit über das deutsche Gesetz hinaus. Sollte die Europäische Kommission diesen Empfehlungen folgen, muss die Bundesregierung das deutsche Lieferkettengesetz an vielen Stellen nachbessern, um Menschenrechte und Umwelt umfassend zu schützen.
Quelle: Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V.