DIW-Studie untersucht Schwachstellen des EU-Emissionshandels und CO2-Grenzausgleichs – Aktuelle Ausgestaltung führt zu Zielkonflikt zwischen Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Industrie – Reform mithilfe einer Clean Industry Contribution bringt beide Ziele in Einklang.
Die europäische Industrie, insbesondere die emissionsintensive Grundstoffindustrie, steckt in einem Dilemma: Mit konventionellen Technologien lassen sich die Klimaziele nicht erreichen, grüne Produktionsverfahren sind aber oft noch nicht wirtschaftlich. Damit Europa seine Industrie klimaneutral umbauen und zugleich wettbewerbsfähig bleiben kann, müssen der aktuelle EU-Emissionshandel (EU-ETS) und der CO2-Grenzausgleich (CBAM) reformiert werden.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Derzeit gibt es keine ausreichenden Anreize, in klimaneutrale Produktionsprozesse zu investieren, weil bestehende CO2-Preisunterschiede nicht vollständig ausgeglichen werden“, stellt Studienautorin Fernanda Ballesteros aus der Abteilung Klimapolitik, fest. „Wir brauchen aber dringend einen verlässlichen Investitionsrahmen für nachhaltige Technologien, um Europa als Industriestandort zu stärken.“
Grenzausgleich CBAM bietet Schlupflöcher
Seit 2005 bildet der EU-Emissionshandel das zentrale Instrument der europäischen Klimapolitik. Um Carbon Leakage – also eine Verlagerung von Produktion und Emissionen in Länder mit geringeren Klimaschutzauflagen – zu verhindern, erhalten energieintensive Industrien bislang kostenlose CO2-Zertifikate. Diese Regelung schützt zwar vor Wettbewerbsnachteilen, mindert jedoch die Investitionsanreize für eine klimafreundliche Produktion und Nutzung von Grundstoffen.
Der europäische CO2-Grenzausgleich, der die kostenlosen Zertifikate schrittweise ablösen soll, belegt Importe aus Ländern ohne vergleichbare CO2-Bepreisung mit einer Abgabe und soll damit faire Wettbewerbsbedingungen schaffen. Doch das System hat strukturelle Schwächen: Es bezieht etwa viele verarbeitende Industrien nicht ein, erstattet die CO2-Kosten beim Export nicht und birgt das Risiko eines Resource Shuffling. Damit ist die gezielte Umlenkung emissionsarmer Produkte in die EU gemeint, während emissionsintensive Produkte auf anderen Märkten verkauft werden.
Clean Industry Contribution macht Klimakosten in Produktpreisen sichtbar
Die DIW-Forschenden schlagen daher vor, eine bereits 2021 von der EU-Kommission erwogene Ausgestaltung des Grenzausgleichs anzuwenden, bis sich die CO2-Preise weltweit angeglichen haben. Dazu würde in den EU-Emissionshandel parallel zur kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten eine sogenannte Clean Industry Contribution (CIC) integriert. Sie wird auf CO2-intensive Materialien wie Stahl, Zement, Aluminium und Chemikalien erhoben – unabhängig davon, ob sie in der EU oder im Ausland hergestellt werden. Für jede Tonne Material würde ein fester, standardisierter CO2-Wert zugrunde gelegt, der sich an den Emissionen der Produktion des Grundstoffes mit konventioneller Technologie orientiert.
„Die bisherige kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten verhindert Anreize zur Verlagerung, aber zugleich auch Anreize zur Emissionsminderung“, erläutert Studienautor Karsten Neuhoff, Leiter der Abteilung Klimapolitik. Die Clean Industry Contribution sorgt dafür, dass die Klimakosten entlang der gesamten Wertschöpfungskette in den Produktpreisen sichtbar würden. Zugleich bliebe die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Importen erhalten, da die Clean Energy Contribution auf Importe von Grundstoffen und auch auf Produkte erhoben wird, die solche Grundstoffe enthalten.“
Beim Export aus der EU wird die Clean Industry Contribution erlassen, sodass keine einseitige Kostenbelastung für EU-Firmen gegenüber Unternehmen aus Drittstaaten entsteht. Anders als der bisherige Grenzausgleich, der auf produktspezifischen, also tatsächlichen Emissionswerten basiert, erlauben einheitliche Standardwerte einen Erlass beim Export, der konform mit den Regelungen der Welthandelsorganisation ist. Die Verwendung von standardisierten Werten reduziert den administrativen Aufwand und erlaubt es, die relevante Wertschöpfungskette zu erfassen. Zugleich werden Anreize zum Resource Shuffling vermieden.
Neben fairen Wettbewerbsbedingungen entstehen mit der Reform auch Erlöse aus der CO2-Bepreisung. Nach Berechnungen der DIW-Forschenden würden so europaweit rund 50 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Primär können damit zum einen über Klimaschutzverträge Investitionen in klimaneutrale Produktionsprozesse gefördert werden. Zum anderen werden auch weitere nationale und internationale Kilmaschutz-Projekte ermöglicht.
Quelle: DIW Berlin


