Am 27. Juli 2025 einigten sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump darauf, dass die meisten der US-Importe aus Europa künftig mit 15 Prozent verzollt werden sollen.
Nur als „ersten Schritt“ hin zu einem umfassenden und fairen Handelsabkommen bewertet Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), die jetzt getroffene Grundsatzvereinbarung im transatlantischen Zollkonflikt. „Die deutsche Wirtschaft kann vorerst etwas durchatmen“, kommentiert Melnikov die Vereinbarung: „Die Gefahr einer Eskalation im Handelsstreit mit den USA ist abgewendet – noch höhere und unkalkulierbare Zölle ab 1. August sind vom Tisch.“ Für viele Unternehmen sei das „eine dringend benötigte Atempause. Die EU stand unter erheblichem Druck, hat aber mit der Einigung Schlimmeres verhindert. Doch der Deal hat seinen Preis, und dieser Preis geht auch zulasten der deutschen und europäischen Wirtschaft.“
Bitterer Kompromiss
Der neu vereinbarte Zollsatz von 15 Prozent auf die meisten EU-Importe lägen „deutlich über den ursprünglichen Sätzen, die vor Trumps Amtsantritt zwischen zwei und fünf Prozent lagen oder ganz entfielen“, stellt Melnikov klar. „Gerade für die Automobilindustrie und andere Schlüsselbranchen bedeutet das massive Mehrbelastungen.“ Der Kompromiss sei bitter, nicht nur für die deutsche Wirtschaft, sondern auch für viele US-Betriebe, die von funktionierenden Lieferketten und fairen Partnerschaften profitierten. „Für Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks wird es jetzt deutlich teurer“, rechnet Melnikov.
Viele Details blieben noch unklar, „insbesondere, wie die angekündigten Energieimporte und Investitionszusagen in der Praxis umgesetzt werden sollen.“ Klar sei dagegen: „Die USA sind und bleiben ein attraktiver Markt. Deutsche Unternehmen investieren dort aus unternehmerischer Überzeugung, nicht aus politischem Kalkül. Was sie dafür brauchen, ist Verlässlichkeit, sowohl in der Zollpolitik als auch bei den allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.“
Melnikov weiter: „Die Einigung schafft kurzfristig Stabilität, mehr nicht. Es ist nur ein erster Schritt. Jetzt muss die EU weiter mit den USA verhandeln und an einem umfassenden, fairen und zukunftsgerichteten Handelsabkommen arbeiten.“ Gleichzeitig seien Bundesregierung und EU-Kommission gefordert, die richtigen Schlüsse zu ziehen: „Wir brauchen wettbewerbsfähige Standortbedingungen, verlässliche Politik, gezielte Investitionsanreize und vor allem mehr Tempo und weitere Freihandelsabkommen.“
Schließlich gingen fast 90 Prozent der deutschen Exporte in andere Weltregionen, erinnert die DIHK-Hauptgeschäftsführerin. „Gerade in Märkten wie Südamerika, Asien und Australien liegt enormes Potenzial. Das Mercosur-Abkommen muss endlich ratifiziert, die Verhandlungen mit Indien, Indonesien und Australien mit Nachdruck weitergeführt werden. Eine exportstarke Volkswirtschaft wie Deutschland braucht mehr denn je offene Märkte, nicht neue Hürden.“
Regelbasierter Welthandel gefährdet
Prof. Dr. Julian Hinz, Experte für internationalen Handel am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), kommentiert den jetzt vereinbarten Handelsdeal zwischen der EU und den USA, der für europäische Exporte in die Vereinigten Staaten Zollsätze von 15 Prozent vorsieht:
„Der am 27. Juli vereinbarte Deal zwischen der EU und den USA ist kein guter Deal – er ist Appeasement, also eine Politik der Beschwichtigung. Die EU versucht kurzfristig, einen Handelskrieg abzuwenden, zahlt dafür aber langfristig einen hohen Preis. Sie verlässt damit die Prinzipien des multilateralen und regelbasierten Welthandelssystems der Welthandelsorganisation (WTO), das Europas Wohlstand bislang maßgeblich garantiert hat.
Die kurzfristigen wirtschaftlichen Folgen des Deals mögen begrenzt erscheinen – so erwarten wir für Deutschland zunächst ein verringertes Wachstum von 0,13 Prozentpunkten. Doch der langfristige Schaden für das multilaterale Handelssystem ist weit größer. Die EU sollte sich dringend auf ihre Stärken besinnen und verstärkt Handelspartnerschaften mit gleichgesinnten Ländern fördern, um dem regelbasierten globalen Handelssystem wieder Rückhalt zu geben.
Nach WTO-Regeln müssen Mitgliedsländer dieselben Zollsätze für alle anderen Mitglieder anwenden. Abweichungen sind nur im Rahmen von Freihandelsabkommen erlaubt, bei denen beide Seiten ihre Zölle auf null reduzieren. Der aktuelle Deal verstößt klar gegen diese Grundsätze und schafft einen gefährlichen Präzedenzfall. Er könnte andere Länder dazu ermutigen, ebenfalls politisch motivierte und willkürliche Zollerhöhungen durchzusetzen. Langfristig drohen damit eine Eskalation von Handelskonflikten und insgesamt höhere Zölle – eine Entwicklung, die insbesondere Exportnationen wie Deutschland empfindlich treffen würde.
Dabei hätte die EU Alternativen gehabt: Statt auf einen einseitig nachteiligen Deal einzugehen, hätte sie gemeinsam mit anderen betroffenen Wirtschaftsnationen wie Kanada, Mexiko, Brasilien und Südkorea eine Koalition bilden können. Damit wäre ein wirkungsvolles Gegengewicht zu den amerikanischen Zolldrohungen entstanden. Stattdessen stärkt der heute geschlossene Deal die Strategie von Präsident Trump, andere Wirtschaftsnationen gegeneinander auszuspielen.“
„Ein fatales Signal an die eng verflochtene Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks“
Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), kommentiert die Zoll-Einigung zwischen der EU und den USA:
„Auch ein Zollsatz von 15 Prozent wird immense negative Auswirkungen auf die exportorientierte deutsche Industrie haben. Das Übereinkommen ist ein unzureichender Kompromiss und sendet ein fatales Signal an die eng verflochtene Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks. Durch die Einigung mit den USA nimmt die EU schmerzhafte Zölle in Kauf. Denn auch ein Zollsatz von 15 Prozent wird immense negative Auswirkungen auf die exportorientierte deutsche Industrie haben.
Das einzig Positive an dieser Einigung ist, dass eine weitere Eskalationsspirale zunächst abgewendet werden konnte. Entscheidend ist jetzt, dass das geschlossene Übereinkommen verbindlich wird. Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks brauchen Planungssicherheit für ihre Lieferketten und Investitionen. Jetzt müssen alle an einem Strang ziehen, um die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen in dieser schwierigen Phase zu stabilisieren. Zugleich bleibt ein fortlaufender Dialog zur grundsätzlichen Lösung des Handelskonflikt weiterhin unerlässlich.
Dass es keine Einigung für die Stahl- und Aluminiumexporte gibt, ist ein zusätzlicher Tiefschlag. Das setzt eine Schlüsselbranche weiter unter Druck, die ohnehin vor enormen Herausforderungen im internationalen Wettbewerb und durch die Transformation steht.
Die EU muss jetzt zeigen, dass sie mehr ist als ein Binnenmarkt – sie muss Machtfaktor sein: Wir brauchen eine Strategie für eine wettbewerbsfähige und resiliente Wirtschaft sowie den politischen Willen, im globalen Machtgefüge selbstbewusst mitzuspielen. Mit hohem Tempo muss die Europäische Kommission nun Schlüsseltechnologien vorantreiben, den Binnenmarkt integrieren und schlanke Handelsabkommen abschließen.
Europa blockiert sich selbst mit lokaler Bürokratie, mehrfachen Berichtspflichten und unterschiedlich umgesetzten EU-Verordnungen. Alle Regularien gehören auf den Prüfstand, bürokratische Hürden müssen konsequent abgebaut werden. Die EU darf ihrer wirtschaftlichen Stärke nicht länger selbst im Weg stehen. Würden bestehende Handelshemmnisse und Einschränkungen im EU-Binnenmarktkünftig um die Hälfte abgebaut, könnten die Exporte der deutschen Industrie in die meisten EU-Mitgliedstaaten bis 2035 um ein zusätzliches Prozent pro Jahr wachsen. Bei einem vollständigen Abbau der Hürden könnte das Wachstum sogar fast verdoppelt werden.“
Quelle: DIHK, IfW Kiel, BDI