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Ungleiche Wettbewerbsbedingungen für erneuerbare und fossile Materialien in Ökobilanzen

Auf dem Weg zu den Netto-Null-Zielen der Europäischen Kommission ist die Umstellung von fossilen auf erneuerbare Materialien ein entscheidender Schritt für die ökologische Nachhaltigkeit. Verfügbare erneuerbare Kohlenstoffquellen in diesem Übergang sind Biomasse, Carbon Capture and Utilisation (CCU) und Recycling. Ökobilanzen (Life Cycle Assessment, LCA) dienen als Standardmethode und Maßstab für den Vergleich der Umweltauswirkungen verschiedener Produkte oder Dienstleistungen.

Inmitten dieses dringend benötigten Wandels liegt ein Fokus auf den methodischen Feinheiten, die vom Joint Research Centre (JRC), dem wissenschaftlichen Arm der Europäischen Kommission, vorgestellt werden. Seit Jahren diskutieren Ökobilanzexperten darüber, wie gleiche Bedingungen für fossile und nicht-fossile Produkte geschaffen werden können, insbesondere im Hinblick auf biobasierte Rohstoffe, und wie auch andere nicht-fossile Produkte in Ökobilanzen bewertet werden können. Die Debatte ist noch nicht abgeschlossen. Das neue wissenschaftliche Hintergrundpapier der RCI fasst die wichtigsten Fragen und Probleme zusammen und erörtert sie unter Einbeziehung eines aktuellen methodischen Vorschlags des JRC zur Ökobilanzierung von Kunststoffen aus alternativen Rohstoffen.

Die Probleme entwirren: Die JRC Plastics-LCA-Methode

Im Jahr 2021 veröffentlichte das JRC eine Studie mit dem Titel „LCA of alternative feedstocks for plastic products“ (Ökobilanzierung alternativer Rohstoffe für Kunststoffprodukte), die gemeinhin als JRC Plastics-LCA-Methode bezeichnet wird. Alternative Rohstoffe beziehen sich auf die gleichen drei Rohstoffe, welche die RCI als erneuerbaren Kohlenstoff definiert: Biomasse, CO2-Nutzung und Recycling.

Die Studie beschreibt eine vom JRC entwickelte Methodik zur Bewertung der Umweltauswirkungen von Kunststoffen aus alternativen Rohstoffen, potenziell im Vergleich zu Kunststoffprodukten auf fossiler Basis. Obwohl die Methode einen detaillierten wissenschaftlichen Ansatz darstellt, wurde sie von verschiedenen Interessengruppen heftig kritisiert – vor allem aus dem biobasierten Sektor – was sogar schon eine Reaktion des JRC zur Folge hatte. Dieser RCI-Bericht soll zusätzlichen Kontext liefern und potenzielle Probleme aufzeigen, die bei der Umsetzung der JRC Plastics-LCA-Methode immer noch auftreten könnten. Er dient außerdem als Vorläufer für einen kommenden RCI-Bericht zum Thema „Verständnis von LCA-Ansätzen und -Methoden für verschiedene Kohlenstoffquellen“, der später im Jahr 2024 veröffentlicht werden soll.

Zentrale Herausforderungen und Ungleichheiten

Die Plastics-LCA-Methode des JRC ist an sich ein detaillierter wissenschaftlicher Ansatz, der sicherstellen soll, dass alle Umweltauswirkungen bei der Bewertung alternativer Rohstoffe berücksichtigt werden. Aus RCI-Sicht ist jedoch ein zentraler Punkt, dass die Methode nicht im luftleeren wissenschaftlichen Raum verortet ist, sondern dass sie erhebliche politische Konsequenzen haben kann. Einige methodische Aspekte werden nach wie vor diskutiert, und die politische Landschaft, in der die Methodik umgesetzt wird, führt zu systemischen Nachteilen für innovative Industrien, die alternative Rohstoffe einsetzen. Dies schafft zusätzliche Hindernisse für die Abkehr von fossilen Rohstoffen und der Transformation zu den wünschenswerten Alternativen. Die vom RCI-Bericht ausgemachten, wesentlichen Probleme an dieser Schnittstelle sind die Folgenden:

  • Der ökologische Fußabdruck fossiler Rohstoffe wird wahrscheinlich deutlich unterschätzt, ist nicht transparent und es fehlt an regionaler Differenzierung. Angesichts der Tatsache, dass fossile Rohstoffe die Hauptursache für den Klimawandel sind, ist dies ein kritischer Punkt, der mehr Aufmerksamkeit verdient.
  • Erneuerbare/alternative Rohstoffe werden wesentlich kritischer bewertet als fossile Rohstoffe. Es besteht eine Diskrepanz zwischen den alternativen/erneuerbaren Rohstoffen und dem derzeitigen Hauptrohstoff – fossiles Erdöl.
  • Es besteht seit langem eine Unstimmigkeit im methodischen Ansatz und in der regulatorischen Unterstützung zwischen energetischer Nutzung (z. B. auf der Grundlage der RED) und stofflicher Nutzung (z. B. auf der Grundlage der JRC Plastics-LCA-Methode) von alternativen Rohstoffen, die systemisch die energetische Nutzung besser abschneiden lässt als stoffliche Nutzung. Dies steht in krassem Gegensatz zur Abfallhierarchie, den Grundsätzen der kaskadischen Nutzung und den Zielen der Kreislaufwirtschaft der EU.
  • Die biogene/atmosphärische Kohlenstoffaufnahme kann im Product Environmental Footprint (PEF) und in der JRC Plastics-LCA-Methode am „Werkstor“ nicht transparent dargestellt werden, um die Vorteile von erneuerbarem Kohlenstoff für nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe deutlich zu machen.
  • Die Methodik berücksichtigt nicht die Schnittstelle zwischen der Bewertung ökologischer Nachhaltigkeit, der Politikgestaltung und dem Einfluss des JRC auf die europäische Politiklandschaft. Das JRC sollte eine zukunftsorientierte Politikgestaltung erleichtern, zum Beispiel durch die Einbeziehung von Szenarioanalysen oder Sensitivitätsanalysen.

Trotz ihrer wissenschaftlichen Strenge wird die Methodik in bestimmten Aspekten immer noch als unausgewogen kritisiert. Dazu gehören Debatten über Landnutzungsänderungen, Datenberichterstattung, indirekte Auswirkungen, biologische Vielfalt, Kohlenstoffbindung und der Vergleich zwischen reifen und unreifen Systemen.

RCI-Empfehlungen: Den Weg in die Zukunft ebnen

Es besteht ein dringender Bedarf an einer robusten Methodik, die faire Vergleiche via Ökobilanzierung ermöglicht und die ökologisch vorteilhaftesten Lösungen ermittelt, um die Defossilisierung der chemischen Industrie und der Kunststoffindustrie zu erleichtern. Die RCI hat die folgenden Empfehlungen ausgearbeitet, um diesem Bedarf gerecht zu werden:

  • Umweltauswirkungen fossiler Rohstoffe sollten mindestens genauso detailliert untersucht werden wie die von alternativen Rohstoffen. Fossiler Kohlenstoff ist die Hauptursache des vom Menschen verursachten Klimawandels, und es ist ein erheblicher Mangel, dass sein ökologischer Fußabdruck wahrscheinlich deutlich unterschätzt wird, nicht transparent und wissenschaftlich umstritten ist, sowie dass es an regionaler und technologischer Differenzierung mangelt.
  • Für alle Rohstoffe sollten die gleichen Nachweise und Anforderungen an die Beschaffung und die Bereitstellung von Daten gefordert werden. Die Methodik sollte fairerweise die gleichen Datenanforderungen stellen, alle Landnutzungsauswirkungen und alle indirekten Auswirkungen in gleicher Weise berücksichtigen und für alle Rohstoffe die gleichen Anforderungen an die Nachhaltigkeit stellen. Wissenschaftlich unsichere Kriterien wie indirekte Landnutzungsänderungen sollten nicht in die LCA-Methodik integriert werden – solange entsprechend unsichere Aspekte auch bei der Rohölproduktion nicht einbezogen werden.
  • Vergleiche zwischen neuen und etablierten Produkten sollten ermöglicht werden. Die Politik sollte zukunftsorientiert agieren, Innovationen fördern und Wirtschaft und Industrie zu nachhaltigen Lösungen führen. Dafür bedarf es Möglichkeiten, die Entwicklung neuer Technologien zu bewerten, um ihre langfristigen Umweltauswirkungen besser mit denen etablierter Produkte vergleichen zu können. Sensitivitätsanalysen, zum Beispiel für die Stromerzeugung und das landwirtschaftliche System, könnten Aufschluss über die künftigen Umweltauswirkungen alternativer Rohstoffe und Produkte geben.
  • Vergleichbare Bedingungen in der LCA-Methodik zwischen energetischer und stofflicher Nutzung sollten etabliert werden. Die derzeitige LCA-Methode für biobasierte Kraftstoffe und biobasierte Energie ist viel günstiger als die LCA-Methode für Kunststoffe und lenkt die Biomassenutzung systematisch auf die energetische statt auf die stoffliche Nutzung. Dies steht im völligen Gegensatz zur EU-Abfallhierarchie, den Zielen der Kreislaufwirtschaft, dem Kaskadenprinzip und politischen Aspekten wie der Mitteilung über nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe und dem Net-Zero Industry Act.
  • Der intrinsische Wert der Aufnahme von erneuerbarem Kohlenstoff in Wiege bis Werkstor Ansätzen sollte anerkannt werden. Viele Akteure entlang der Wertschöpfungskette sind nicht in der Lage, die emissionsbezogenen Vorteile von Produkten auf der Basis von erneuerbarem Kohlenstoff genau darzustellen, insbesondere wenn sie ihren Kunden Informationen zum Kohlenstoff-Fußabdruck vorlegen müssen.
  • Die politische Schnittstelle und die Landschaft entwickelter LCA-Methoden müssen mitbedacht werden. Das JRC stellt zwar klar, dass es sich bei der Methodik nicht um eine politische Empfehlung handelt, doch geht sie mit dieser Aussage bis zu einem gewissen Grad an der Realität vorbei. Als zentraler Wissenschafts- und Wissensdienst der Europäischen Kommission sollten ihre Methoden immer auch im Rahmen des bestehenden politischen Kontexts betrachtet werden. Die LCA-Methode des JRC für Kunststoffe hat bereits Einfluss darauf, wie andere Messinstrumente, wie das PEF, in verschiedenen Politikbereichen eingesetzt werden.

Zukunftsszenarien sollten entwickelt oder Sensitivitätsanalysen hinzugefügt werden. Das JRC ist die wissenschaftliche Einrichtung der Europäischen Kommission und sollte eine zukunftsorientierte Politikgestaltung ermöglichen, indem sie nicht nur eine Bewertung des Status quo, sondern auch einen Ausblick auf künftige Entwicklungen liefert. Die Entwicklung von Zukunftsszenarien oder Sensitivitätsanalysen zu kritischen Aspekten wie Energiemix und Agrarsystem würden eine solche zukunftsorientierte Politikgestaltung erleichtern.

Konzepte, die positive Umweltaspekte widerspiegeln und einbeziehen, sollten entwickelt werden. Die Kohlenstoffspeicherung im Boden, die Stilllegung von Produktionsflächen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und ähnliche Konzepte werden in Ökobilanzen nicht berücksichtigt. Dies sind jedoch wichtige Aspekte für die künftige Nachhaltigkeit, und die Ökobilanz lässt diese Aspekte außer Acht, obwohl sie heute die allgemein anerkannte Methode zur Bewertung der Umweltauswirkungen ist.

Ein Aufruf zum Handeln

Bei der Bewältigung der komplexen Umstellung auf nachhaltige Materialien ist eine solide und faire LCA-Methode von größter Bedeutung. Die RCI fordert Interessengruppen, politische Entscheidungsträger und die Industrie auf, die hier ausgesprochenen Empfehlungen für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft zu berücksichtigen.

Der vollständige Bericht kann unter diesem Link heruntergeladen werden. Die Renewable Carbon Initiative (RCI) lädt ein zur Teilnahme an einem kostenlosen Webinar via Zoom am 29. Februar 2024: https://us06web.zoom.us/j/85377538023

Quelle: Renewable Carbon Initiative (RCI)

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