Die Expertinnen und Experten des Wuppertal Instituts sind sich einig: Trotz einer langen Liste von Einzelmaßnahmen wird die Summe der aufgeführten Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Zudem fehlen für die Zeit danach klare Impulse. Dies wird der vorgesehene Überprüfungsmechanismus für sektorale Minderungsziele sehr schnell zeigen. Das klare Bekenntnis zu einem wirkungsvollen Monitoring ist einer der wenigen Lichtblicke im Programm. In der konkreten Ausgestaltung wird sich entscheiden, ob die vorgesehenen Nachsteuerungsmechanismen funktionieren.
Besonders ernüchternd sind die viel zu niedrigen Preise im nationalen Zertifikatehandel von anfangs nur 10 Euro/Tonne CO2. Sie hätten mit sozial ausgewogenen Kompensationsmechanismen der Kern eines engagierten Klimaprogrammes sein müssen und werden aufgrund der geringen Höhe selbst unter Berücksichtigung des geplanten Anstiegs auf 35 Euro/Tonne CO2 bis 2025 kaum Lenkungswirkung entfalten.
„Statt eine umfassende Aufbruchsstimmung zu erzeugen, wurde eine historische Chance verpasst, mutige Reformen in einer Phase anzugehen, in denen die Gesellschaft und die Wirtschaft dafür bereit sind. Die imposanten Demonstrationen der Fridays4Future-Bewegung am vergangenen Freitag sind dafür ebenso ein Beleg wie zahlreiche Aufrufe aus dem Kreis der Wirtschaft starke Klimaschutzsignale zu senden“, sagt Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts.
Die Bundesregierung vergibt mit den Beschlüssen zum Klimaschutzprogramm 2030 auch eine große Chance zur Rückkehr hin zu einer internationalen Vorreiterrolle, und damit auch eine große Chance, den Industrie- und Technologiestandort Deutschland zu stärken und sich auf den wachsenden Klimaschutzmärkten zu positionieren.
Viele Unternehmen sind in ihren Zielvorgaben und konkreten Umsetzungsschritten vielfach deutlich weiter als die Politik und haben weitgehende Klimaschutzziele und klare Umsetzungskonzepte. Sie wollen ihrer Verantwortung für das Klima ebenso gerecht werden, wie sich zukunftsfest auf den globalen Wettbewerbsmärkten aufzustellen, in denen die Währung Klimaschutz immer wichtiger wird. In Initiativen wie IN4Climate.NRW schließen sich Unternehmen zunehmend zusammen und versuchen gemeinsam Impulse für die notwendigen Sprunginnovationen und Akzente im Aufbau von Infrastrukturen zu setzen. Diese Initiativen hätten eine engagierte politische Flankierung benötigt. Leider wird das durch das Klimapaket der Regierung kaum geleistet.
Mit Blick auf den UN-Klimagipfel ist die globale Wirkung des Klimaschutzprogramms ähnlich fatal. Trotz der Rückschläge der vergangenen Jahre und dem absehbaren, sehr deutlichen Verpassen des Klimaschutzziels für das Jahr 2020, schaut die Welt nach wie vor auf Deutschland. Erfolgreiche Transformationsprozesse aus Deutschland können eine erhebliche globale Multiplikationswirkung auslösen. Daher ist es auch so wichtig, dass Deutschland zeigt, wie Transformationsprozesse gestaltet werden können. Ein erfolgreicher Ausstieg aus der Kohleverstromung ohne die Versorgungssicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden, ist dafür nur ein Beispiel. Die damit erzielbare Multiplikationswirkung geht weit über den Zwei-Prozent-Anteil hinaus, die Deutschland zu den globalen Treibhausgasemissionen beiträgt.
Auf dem UN-Klimagipfel wird es auch um eine Ambitionssteigerung gehen. Klar ist, national wie global reichen die bestehenden Aktivitäten für das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels nicht aus. Eine weitgehende Fokussierung auf den Ausstieg aus der Kohle greift zu kurz. Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC) hat Ende 2018 sehr deutlich gemacht, dass auf globaler Ebene Treibhausgasneutralität vor der Mitte des Jahrhunderts zu erreichen ist und es dafür bisher nie dagewesener Anstrengungen bedarf. „Deutschland kann und muss aufgrund seiner ökonomischen und technologischen Stärke hierfür eine Vorreiterrolle übernehmen im Dienste des Klimas, aber auch der nationalen Wirtschaft. Notwendig ist dafür aber die Umsetzung mutiger Visionen“, sagt Prof. Dr. Manfred Fischedick, Vizepräsident des Instituts.
Zukunftsvisionen sind unter anderem:
- der Einstieg in eine (grüne) Wasserstoffwirtschaft
- das Schließen von Stoffkreisläufen im Rahmen einer Circular Economy
- eine Elektrifizierung der Autobahnen und die intelligente Lenkung des Güterverkehrs über Oberleitung-LKW
- eine umfassende Mobilitätswende durch den Umbau der bisher rein autogerechten Verkehrsinfrastruktur (u.a durch eine konsequente Stärkung des ÖPNV, des Rad- und Fußverkehrs)
- das Aufgreifen der Chancen der Digitalisierung als Enabler für den Ausbau erneuerbarer Energien, für die Ausschöpfung der Energieeffizienzpotenziale, für den Einstieg in Intermodalität im Verkehr und für eine Kreislaufwirtschaft
„Damit würde Deutschland nicht nur einen Klimaschutzbeitrag leisten, sondern auch eine Innovations- und Investitionsdynamik erzeugen, gerade in Zeiten einer sich abschwächenden Konjunktur eine große Chance, die deutsche Wirtschaft zukunftsfest aufzustellen und von den wachsenden Klimaschutzmärkten zu profitieren“, so Manfred Fischedick.
Ein CO2-Preis mit relevanter Lenkungswirkung gerade in den Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft ist mit seiner Signalwirkung dafür ebenso essentiell wie ein ambitioniertes Förder- und Innovationsprogramm.
„Hier bietet sich ein Brückenschlag mit anderen Vorreiterstaaten an. Der UN-Klimagipfel bietet eine gute Chance internationale Kräfte zu bündeln. Es bleibt zu hoffen, dass der UN-Gipfel auch in Deutschland den Mut zum schnellen Nachsteuern des Klimapakets wachsen lässt“, ergänzt Uwe Schneidewind.
Nachfolgend Links auf ausgewählte Projekte und Positionen des Wuppertal Instituts im Kontext des Klimapakets:
Diskussionspapier: Bepreisung der Klimawirkung von Treibhausgasemissionen erfordert Flankierung durch zusätzliche Instrumente und stärker langfristige Ausrichtung
Ein CO2-Preis als Instrument der Klimapolitik
In4Climate.NRW
Technologien für die Energiewende
Klimaschutzszenarien für die Hafenregion Rotterdam
Quelle: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH