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Rückgabe so einfach wie Wegwerfen: Mehrweg braucht System, nicht Appelle

Ein Fachbeitrag von Sven Hennebach, Senior Manager bei TOMRA Reuse:

Sven Hennebach (Foto: TOMRA Reuse)

Einweg gerät zunehmend unter Druck. Immer mehr Städte erheben Steuern auf Einwegverpackungen, die EU plant verpflichtende Mehrwegquoten, und gleichzeitig schwindet das Vertrauen in das bestehende Recyclingsystem – als zu ineffizient, zu unzuverlässig, zu stark vom Verhalten Einzelner abhängig.

Zugleich zeigt sich gerade im urbanen Raum ein wachsender Handlungsdruck: Täglich fallen dort Millionen Einwegverpackungen an, vor allem im To-go-Segment. Doch statt aufwendiger Entsorgungsstrategien braucht es neue Strukturen, die Abfall von vornherein vermeiden. Die zentrale Erkenntnis: Kreislaufwirtschaft beginnt nicht bei der Verpackung, sondern bei der Infrastruktur. Nur wenn Rückgabe ebenso einfach wird wie das Wegwerfen, kann Mehrweg zur selbstverständlichen Option im Alltag werden.

Der Paradigmenwechsel: Warum Mehrweg zur Infrastruktur werden muss

Foto: TOMRA Reuse

In Deutschland ist der Einsatz von Mehrwegverpackungen in der Gastronomie nach wie vor gering. Ein wesentlicher Grund: Die Nutzung ist oft deutlich aufwändiger als bei Einweg – mit Rückgabe nur an bestimmten Stellen, zusätzlichem Spülaufwand und fehlender Logistik. Mehrweg darf aber nicht komplizierter sein als Einweg, denn solange der Mehrwegkreislauf mit Hürden verbunden ist, bleibt Einweg die bequemere Wahl.

Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass es auch anders geht: In Frankreich oder den Niederlanden sorgen gesetzliche Verbote von Einwegverpackungen für den Vor-Ort-Verzehr für deutlich höhere Mehrwegquoten Deutschland dagegen kommt bislang nicht über niedrige einstellige Prozentwerte hinaus – trotz der bestehenden Infrastruktur zur Pfandrückgabe. Die Herausforderung liegt also nicht beim Willen der Verbraucher, sondern in der Alltagstauglichkeit der Systeme. Nur wenn Rückgabe niedrigschwellig, flächendeckend und technisch durchdacht ist, kann Mehrweg sich durchsetzen – als Teil städtischer Daseinsvorsorge, nicht als freiwilliges Nischenmodell.

Reuse im urbanen Maßstab

Dass Mehrweg alltagstauglich werden kann, zeigt nicht nur die Theorie, sondern die Praxis. In drei europäischen Städten hat TOMRA Reuse Rücknahmesysteme im urbanen Raum etabliert, die unterschiedlich funktionieren, aber dasselbe Ziel verfolgen: Mehrweg so bequem zu machen wie Einweg. Die Projekte in Berlin, Aarhus und Lissabon liefern konkrete Antworten auf zentrale Fragen der Branche: Wie sieht ein skalierbares Rückgabesystem aus? Welche Rolle spielen Handel, Gastronomie, Stadtverwaltung und Technologie? Und wie gelingt es, Nutzer zu erreichen, ohne neue Hürden zu schaffen?

Berlin: Rückgabe im Supermarkt statt nur in der Gastronomie

Foto: TOMRA Reuse

In Berlin zeigt ein neues Pilotprojekt, wie systemübergreifende Mehrwegrückgabe alltagstauglich werden kann. Seit Frühjahr 2025 können Verbraucher in sieben REWE-Märkten in Friedrichshain ihre Mehrwegbecher von Recup und Einfach Mehrweg über TOMRA T9-Automaten gemeinsam mit dem üblichen Leergut zurückgeben – ein Novum im deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Das System nutzt vertraute Abläufe und ist offen für verschiedene Anbieter. Für den Handel entsteht kein zusätzlicher Aufwand: Die bestehende Infrastruktur und Logistik werden einfach mitgenutzt. Gleichzeitig schafft eine Handling-Gebühr pro Rückgabe einen wirtschaftlichen Anreiz.

Das vom Berliner Senat und der Deutschen Umwelthilfe begleitete Projekt adressiert ein zentrales Problem: Täglich entstehen in Berlin rund zwei Millionen Einwegverpackungen im To-go-Bereich, während Mehrweg mangels praktischer Rückgabemöglichkeiten kaum genutzt wird. Das Berliner Modell bricht mit dem bisherigen System, bei dem nur Ausgabestellen auch Rücknahmestellen sind – und setzt stattdessen auf die Routinen des Wocheneinkaufs. Für Städte, Handel und Umweltpolitik eröffnet sich damit ein skalierbares Modell, das Mehrweg nicht nur ermöglicht, sondern vereinfacht – und so zur echten Infrastruktur-Alternative macht.

Aarhus: Rückgabe wie Einwurf – mitten im öffentlichen Raum

Aarhus in Dänemark hat Anfang 2024 europaweit Maßstäbe gesetzt: Mit 27 vollautomatisierten Rücknahmeautomaten im gesamten Stadtgebiet betreibt die Kommune das erste stadtweite Rücknahmesystem für Mehrwegbecher. Das Prinzip: Rückgabe dort ermöglichen, wo Konsum stattfindet – an Verkehrsknotenpunkten, Einkaufszentren oder Street-Food-Zonen. Nutzer erhalten ihr Pfand bargeldlos aufs Smartphone oder die Bankkarte zurück, die Becher werden zentral gereinigt und über digitale Seriennummern nachverfolgt.

Foto: TOMRA Reuse

Nach nur zwölf Monaten liegt die Rücklaufquote bei 86 Prozent – ganz ohne gesetzliche Verpflichtung. Die meistgenutzten Becher haben bereits über 30 Umläufe hinter sich. Damit ist Aarhus ein Beleg dafür, dass skalierbare Mehrwegsysteme funktionieren – wenn Convenience, digitale Infrastruktur und Reinigung zusammenspielen. Auch bei Veranstaltungen zeigt sich das Potenzial: Bei einem Straßenfest im Vorjahr wurden rund 100.000 Einwegbecher eingespart. Für 2025 sind fünf Events geplant – mit dem Ziel, eine halbe Million Einwegbecher zu ersetzen. Aarhus beweist: Wenn Rückgabe so intuitiv ist wie das Wegwerfen, kann Mehrweg auch ohne Verbote zur Selbstverständlichkeit werden. Für Städte, die Mehrweg ernsthaft integrieren wollen, bietet Aarhus damit mehr als Inspiration: ein funktionierendes Modell für gelebte urbane Kreislaufwirtschaft.

Lissabon: Politische Entschlossenheit trifft urbane Infrastruktur

Als erste europäische Hauptstadt setzt Lissabon seit Juni 2025 auf ein stadtweites Mehrwegbechersystem – eingeführt in Zusammenarbeit mit TOMRA Reuse und der portugiesischen Gastronomievereinigung AHRESP. Bis Oktober sollen mindestens 17 Rückgabestellen in zentralen Stadtteilen eingerichtet werden, in direkter Nähe zu Bars, Kiosken und Eventflächen. Die Rückgabe erfolgt digital und kontaktlos über Sammelstationen, der Pfand von 0,60 € wird sofort aufs Smartphone oder die Bankkarte erstattet.

Der Handlungsbedarf ist enorm: In den Ausgehvierteln Lissabons werden jede Nacht rund 25.000 Becher genutzt – bislang ohne funktionierende Rücknahme. Möglich wird der Systemwechsel durch eine städtische Verordnung, die Einwegbecher verbietet – und durch ein digitales Infrastrukturmodell, das Konsumgewohnheiten nicht ändert, sondern mitdenkt. Mit der „Lisbon Cup“-Initiative etabliert sich die Hauptstadt als Vorreiterin für eine reuse-fähige Stadt – rechtlich abgesichert, lokal verankert und technisch skalierbar.

Mehrweg ist nicht das Problem – sondern die Lösung, wenn man es richtig macht

Foto: TOMRA Reuse

Die Beispiele aus Berlin, Aarhus und Lissabon zeigen: Reuse scheitert nicht an den Nutzern, sondern an fehlender Alltagstauglichkeit. Sobald Rückgabe genauso einfach wird wie Wegwerfen, steigen Rücklaufquoten, sinken Müllmengen – und entsteht ein echter Kreislauf. Gemeinsam ist allen drei Projekten, dass sie nicht auf Verhaltensänderung setzen, sondern auf Systeme, die Convenience, digitale Technik und urbane Integration verbinden. Ob freiwillig wie in Aarhus, regulatorisch wie in Lissabon oder partnerschaftlich wie in Berlin – der Weg führt immer über die Infrastruktur. Für Städte, die Mehrweg als Teil ihrer Zukunft denken, liegt die Lösung längst nicht mehr in Pilotideen, sondern in einsatzbereiten, erprobten Systemen.

Gerade dort, wo in Deutschland über Einwegverpackungssteuern diskutiert oder bereits entschieden wird, entsteht jetzt ein konkretes Momentum für Veränderung. Regulierung schafft den Rahmen – aber nur funktionierende Rückgabe-Infrastruktur macht daraus echte Kreislaufwirtschaft.

Quelle: TOMRA Reuse

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