Welche Auswirkungen haben Nanomaterialien, wenn sie über Kläranlagen in die Umwelt gelangen? Das haben Wissenschaftler der Universität Siegen gemeinsam mit Partnern in einem interdisziplinären Forschungsprojekt untersucht.
Wir haben täglich mit ihnen zu tun – ohne es zu bemerken. Sogenannte „Nanomaterialien“ sind in vielen alltäglichen Gebrauchsgegenständen enthalten, von Sonnencreme und Zahnpasta über Verbandsmaterial bis hin zu Funktionsbekleidung. Das Besondere an diesen Materialien ist, dass sie aus winzig kleinen Einheiten bestehen: Ein Nanopartikel ist tausend Mal dünner als ein menschliches Haar. Ihre geringe Größe und besonderen chemischen und physikalischen Eigenschaften machen Nanomaterialien für viele Anwendungen interessant. Aber was passiert, wenn sie über Kläranlagen in die Umwelt gelangen? Wissenschaftler der Universität Siegen haben das gemeinsam mit Partnern aus Deutschland, Österreich und Portugal untersucht. Das interdisziplinäre ERA-NET Forschungsprojekt „Fenomeno“ wurde mit insgesamt 1,1 Millionen Euro gefördert.
Vorläufig kann Entwarnung gegeben werden
Im Rahmen eines Workshops an der Uni Siegen haben die Forscher jetzt erste Ergebnisse des Projektes vorgestellt. „Auf Basis der bislang bekannten Teilergebnisse können wir vorläufige Entwarnung geben“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Holger Schönherr vom Lehrstuhl für Physikalische Chemie der Uni Siegen. Am Beispiel von Silber- und Titandioxid-Nanomaterialien haben er und sein Team mögliche Auswirkungen auf Gewässer und darin lebende Pflanzen und Tiere untersucht. „Zwar steht die endgültige Auswertung noch aus, bisher konnten wir aber keinerlei Auswirkungen auf die verschiedenen Stufen der Nahrungskette feststellen“, erklärt Schönherr.
Die Wissenschaftler haben zum einen Proben aus dem österreichischen Mondsee analysiert, in den eine Kläranlage unmittelbar mündet. Zum anderen wurden am Fraunhofer Institut IME in Schmallenberg in Modellanlagen Klärprozesse simuliert. Die Zuläufe wurden mit Nanomaterialien angereichert, um anschließend Algen, Wasserflöhe und Fische aus den Kläranlagenausläufen zu untersuchen. „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen haben in dem Projekt eng zusammengearbeitet. Wir haben die Proben chemisch, mikroskopisch, verhaltensbiologisch, molekular und biochemisch genauestens unter die Lupe genommen“, sagt Projektleiter Schönherr.
Silbernanopartikel können unter anderem zu Silbersulfid umgewandelt werden
Schönherr und sein Siegener Kollege Prof. Dr. Carsten Engelhard haben die Proben mit ihren Arbeitsgruppen mikroskopisch und vor allem massenspektrometrisch untersucht. Mit einem in Siegen weiterentwickelten, hochempfindlichen Messverfahren – der „Einzelpartikelmassenspektrometrie“ – konnten sie die Zusammensetzung und Größe der enthaltenen Nanopartikel bestimmen. Außerdem gelang es den Chemikern zu analysieren, wie sich die Partikel in der Modellkläranlage durch den Klärprozess verändern. „In der Kläranlage können die Silbernanopartikel unter anderem zu Silbersulfid umgewandelt werden. Sie verbleiben als schwerlösliche Verbindung im Klärschlamm und sind damit für die Umwelt weniger schädlich“, erklärt Engelhard.
Um die Auswirkungen von Nanopartikeln aus Kläranlagen auf das Ökosystem noch weiter zu untersuchen, haben Biologen der Uni Siegen über einen längeren Zeitraum Wasserflöhe aus den Ausläufen der Modellkläranlagen beobachtet. Die Flöhe ernähren sich von Algen, an denen die winzigen Nanopartikel anhaften. Auswirkungen auf Fruchtbarkeit oder Sterblichkeit der Wasserflöhe habe man über sechs Generationen hinweg nicht feststellen können, fasst Professorin Klaudia Witte zusammen: „Auch in ihren Bewegungsmustern zeigten die Tiere keine Veränderung, wenn sie Silbernanopartikeln aus einer Modellkläranlage ausgesetzt wurden. Wohl aber, wenn sie sich in einer Lösung mit reinen Silbernanopartikeln bei gleicher nomineller Konzentration aufhielten.“
Kein Anlass zur Sorge hinsichtlich toxischer Effekte
Wissenschaftler aus Österreich untersuchten im Rahmen des Projektes Fische im Mondsee. An der Universität Aveiro in Portugal werden Gewebeproben aktuell noch auf biochemischer Ebene analysiert. „In den Laboruntersuchungen konnten wir bisher herausarbeiten, unter welchen Bedingungen und ab welcher Konzentration die untersuchten Nanopartikel Auswirkungen auf die verschiedenen Stufen der Nahrungskette haben“, erklärt Prof. Schönherr. Diese Konzentrationen liegen zumeist weit oberhalb der in den Feldstudien gefunden Konzentrationen. Aus Sicht der Wissenschaftler besteht daher kein Anlass zur Sorge hinsichtlich toxischer Effekte.
An dem Projekt „Fenomeno“ sind Forscher der Universität Siegen, des Fraunhofer Instituts IME in Schmallenberg, des Limnologischen Instituts Mondsee der Universität Innsbruck, sowie der Universität Aveiro in Portugal beteiligt. Das Projekt wurde im Rahmen des SIINN ERA-NET Programms von den partizipierenden nationalen Förderinstitutionen, für Deutschland dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), mit insgesamt 1,1 Millionen Euro gefördert. Weitere Informationen unter: www.fenomeno-nano.de
Quelle: Universität Siegen