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Wie kann die Stahlindustrie zukunftsfest gemacht werden?

Beim gestrigen Stahldialog in Berlin (6. November 2025) hat die deutsche Stahlindustrie eindringlich vor einem weiteren Verlust industrieller Wertschöpfung in Deutschland gewarnt. Angesichts wachsender globaler Überkapazitäten, hoher Energiepreise und ungleicher Wettbewerbs­bedingungen fordern die Unternehmen klare industriepolitische Entscheidungen und eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Ländern und EU.

Im Mittelpunkt des Stahldialogs stand die Frage, wie die Stahlindustrie zukunftsfest gemacht wird. Neben der notwendigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit geht es gleichzeitig darum, die Industrie besser vor globalen Überkapazitäten und unfairen Handelspraktiken internationaler Wettbewerber zu schützen.

Die Diskussionen drehten sich dabei um zentrale Anliegen der Stahlindustrie, wie die Verschärfung des europäischen Handelsschutzes, die Senkung der hohen Energiekosten sowie die Umstellung auf klimafreundlichere Produktionsverfahren. Die Teilnehmer waren sich einig, dass die Bewältigung dieser Herausforderungen eine wichtige Voraussetzung dafür ist, Wertschöpfung und Beschäftigung in der Stahlindustrie zu sichern und ihren Weg zur Klimaneutralität erfolgreich weiterzuverfolgen.

„Ich danke dem Bundeskanzler, der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Stahlallianz für die Klarheit und Entschlossenheit, mit der sie beim heutigen Stahlgipfel aufgetreten sind“, erklärte Gunnar Groebler, Präsident der Wirtschafts­vereinigung Stahl. „Die starke Präsenz heute aus Bund, Ländern, Industrie und Gewerkschaften zeigt: Die Zukunft der Stahlindustrie ist eine nationale Gemeinschaftsaufgabe. Denn es geht nicht nur um eine Branche. Es geht um die grundlegende Frage, wie wir gesamte industrielle Wertschöpfungsketten in Deutschland halten wollen.“

Industrie im Stresstest: Wertschöpfung droht zu verschwinden

Laut dem EY-Industriebarometer zeigt sich ein alarmierendes Bild: Monatlich gehen rund 10.000 Industriearbeitsplätze in Deutschland verloren. „Wertschöpfung, die heute abwandert, holen wir nicht zurück“, warnte Groebler. Besonders betroffen seien industriell geprägte Regionen, in denen Menschen Verunsicherung und Zukunftsangst spürten. „Wer den sozialen Frieden sichern will, muss die industrielle Grundlage dieses Landes sichern.“

Stahl als Fundament der Industrie

Stahl ist das Rückgrat der industriellen Wertschöpfung in Deutschland:

  • im Maschinen- und Anlagenbau,
  • in der Automobilproduktion,
  • im Schienen- und Straßenbau,
  • in der Energieversorgung, bei Windkraftanlagen und Netzinfrastruktur,
    und auch in der Verteidigungsindustrie.

Mit 37,2 Millionen Tonnen Jahresproduktion ist Deutschland größter Stahlhersteller Europas. Rund 5,5 Millionen Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt an stahlintensiven Wertschöpfungsketten in Zuliefer- und Abnehmerbranchen. „Stahl ist kein Material wie jedes andere – er ist eine strategische Ressource“, betonte Kerstin Maria Rippel, Haupt­geschäfts­führerin der Wirtschafts­vereinigung Stahl. „Ohne Stahl keine Industrie, ohne Industrie kein Wohlstand und ohne Wohlstand kein sozialer Frieden.“

Branche übernimmt Verantwortung – Politik muss nachziehen

Die Stahlunternehmen investieren bereits massiv in die Transformation und in die Zukunftsfähigkeit der Branche: Beim Aufbau von Direktreduktionsanlagen und der künftigen Umstellung auf grünen Wasserstoff, beim Ausbau und der Optimierung von Elektrolichtbogenöfen sowie bei der Entwicklung und Zertifizierung von CO2-reduzierten Stählen über das Branchenlabel LESS (Low Emission Steel Standard).

„Wir übernehmen Verantwortung – ökonomisch, ökologisch und sozial“, sagte Groebler. „Aber Verantwortung braucht ein Gegenüber. Jetzt ist die Politik am Zug.“

Vier politische Prioritäten für eine starke Stahlindustrie – was jetzt gebraucht wird:

1. Fairer Wettbewerb statt Marktverzerrung: Die Bundesregierung muss sich jetzt in Brüssel dafür einsetzen, dass

  • ein robuster Handelsschutz gegen Preisdumping und Überkapazitäten eingeführt wird – und das so schnell wie möglich
  • die Lücken beim CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM) bis 01.01.2026 geschlossen werden, ansonsten die freie Zuteilung erhalten bleibt, bis ein funktionierender CBAM-Mechanismus in Kraft ist.

2. Wettbewerbsfähige Energiepreise: Dafür braucht es eine

  • dauerhafte Absenkung der Netzentgelte,
  • Fortführung und Vertiefung der Strompreiskompensation,
  • sowie mittelfristig die Einführung eines verlässlichen Industriestrompreises, um Investitionen im Land zu halten.

3. Tempo beim Aufbau der Wasserstoffwirtschaft: Dabei sind die wichtigsten Punkte

  • ein schneller Ausbau eines europäischen Wasserstoffnetzes,
  • die Einführung von Risikobürgschaften für Erst- und Langfristverträge,
  • und wettbewerbsfähige Preise im Hochlauf der Wasserstoffproduktion.

4. Stärkung der Nachfrage nach emissionsarmem Stahl Made in Germany & EU:

Hier muss die öffentliche Beschaffung mit gutem Beispiel vorangehen und das Prinzip der EU-Präferenzen anerkennen. Das Vergabe­beschleunigungs­gesetz bietet hier eine hervorragende Chance, Resilienz und Nachhaltigkeit zusammen anzugehen.
Anreizsysteme in der Industrie, etwa bei der Anrechnung von CO2-reduziertem Stahl auf Flottengrenzwerte, bieten ein weitere Möglichkeit, die Nachfrage zu stärken und den CO2-Footprint von Abnehmerbranchen zu verringern.

Industriepolitik ist Souveränitätspolitik

Die Wirtschafts­vereinigung Stahl warnt, dass eine weitere Deindustrialisierung Europas nicht nur ökonomische, sondern auch strategische Folgen habe. „Wenn wir industrielle Wertschöpfung ziehen lassen, verlieren wir wirtschaftliche Gestaltungskraft, technologische Führung und am Ende politische Handlungsfähigkeit“, konstatierte Groebler. „Die Stahlindustrie steht beispielhaft für die Frage, ob wir die Zukunft aus eigener Stärke gestalten oder importabhängig werden wollen.“ Rippel ergänzt: „Wir sind bereit, den Wandel zu gestalten. Jetzt braucht es das entschlossene Handeln der Bundesregierung, um die industrielle Zukunft Deutschlands zu sichern.“

Verbesserter Handelsschutz für die Stahlindustrie

Die Teilnehmer des Stahldialogs waren sich einig, dass es konsequenter Maßnahmen bedarf, um die negativen Auswirkungen globaler Überkapazitäten und drohender Handelsumleitungen auf den EU-Markt zu adressieren. Die Bundesregierung kündigte an, sich für einen effektiven und langfristig wirksamen Schutz gegen die negativen Auswirkungen globaler Überkapazitäten und marktverzerrende Praktiken internationaler Wettbewerber einsetzen zu wollen.

Hierzu müsse die EU ihre handelspolitischen Möglichkeiten ausschöpfen. Es brauche eine robuste, ausbalancierte und WTO-rechtskonforme Nachfolgeregelung für die am 30. Juni 2026 auslaufenden Safeguards. Wo rechtlich möglich und im gesamtwirtschaftlichen Interesse der Europäischen Union, müssten Handelsschutzinstrumente gegen Dumping oder Subventionen gezielt und wirksam angewendet werden, um die derzeitigen Importmengen signifikant zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund begrüßt die Bundesregierung das von der Europäischen Kommission am 7. Oktober 2025 vorgeschlagene neue Instrument, das die bestehenden Schutzmaßnahmen für den Stahlsektor ersetzen soll.

Darüber hinaus unterstützt die Bundesregierung die Bemühungen der Kommission für rasche Erleichterungen bei den US-Zöllen auf Stahl und Aluminium, einschließlich Derivaten, sodass europäische Waren über ein angemessenes Zollkontingent möglichst zollfrei in die USA exportiert werden können.

Ausnahmen bei den Sanktionen ermöglichen es Russland aktuell, in signifikantem Umfang bestimmte Stahlprodukte (Halbzeug) in die EU zu exportieren. Die Bundesregierung will sich deshalb weiter und intensiv dafür einsetzen, bestehende Sanktionsausnahmen schnellstmöglich zu beenden. Alle Sanktions-Umgehungen sollen noch konsequenter verfolgt und bestraft werden.

Die Bundesregierung ist sich mit der Stahlindustrie einig, dass der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) als wirksamer Schutz gegen Carbon Leakage von der EU-Kommission weiterentwickelt werden soll. Die Bundesregierung sieht eine hohe Dringlichkeit für die Vorlage entsprechender Vorschläge.

Ziel ist es, das System insgesamt zu vereinfachen und Umgehungsmöglichkeiten im Stahlsektor zu verhindern. Im Rahmen der Weiterentwicklung des CBAM setzt sich die Bundesregierung für eine Erweiterung auf nachgelagerte Stahlprodukte („Downstream“) ein und fordert die Kommission auf, zeitnah ein Modell für einen WTO-konformen Exportausgleich vorzulegen. Sollte ein effektiver Carbon Leakage-Schutz über den CBAM bzw. Kompensationszahlungen nicht gelingen, soll die Wettbewerbsfähigkeit weiterhin über die kostenfreie Zuteilung von Zertifikaten geregelt werden.

Der Europäische Emissionshandel gibt einen sicheren und verlässlichen Rahmen für die Transformation und einen klaren Pfad in Richtung Klimaneutralität. Nach Beschluss des 2040-Klimaziels setzt sich die Bundesregierung dafür ein, den ETS am neuen Ziel auszurichten und den linearen Reduktionsfaktor im ETS so anzupassen, dass auch nach 2039 Zertifikate in den Markt kommen.

Senkung der Energiekosten

Ein verlässliches und bezahlbares Angebot an Energie ist essentiell für die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien wie der Stahlindustrie. Deshalb will die Bundesregierung die Energiewende vorantreiben, effizienter machen und dabei vor allem Systemkosten senken. Das Energieangebot soll konsequent ausgeweitet werden.

Ein zentrales Anliegen der Bundesregierung ist den Angaben zufolge die Senkung der Energiekosten für die Industrie. Dazu hat die Bundesregierung bereits verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, von denen Unternehmen der Stahlindustrie profitieren. Hierzu zählen etwa die Abschaffung der Gasspeicherumlage, die Reduzierung der Stromsteuer auf das europäische Minimum und die Senkung der Übertragungsnetzentgelte, allein im Jahr 2026 um 6,5 Milliarden Euro.

Darüber hinaus setzt sich die Bundesregierung bei der Europäischen Kommission für weitere Entlastungsmöglichkeiten ein, um die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie zu erhalten und ihren Weg hin zu Klimaneutralität fortzusetzen. Konkret soll die sogenannte Strompreiskompensation ausgeweitet sowie ein Industriestrompreis umgesetzt werden. Anders als der Industriestrompreis würde die Strompreiskompensation für die Stahlindustrie durch die von der Bundesregierung ausdrücklich geforderte Erhöhung der Beihilfeintensität zusätzlich entlastende Wirkung entfalten. Beim Industriestrompreis geht es um ein neues ergänzendes Instrument für die anderweitig nicht weiter zu entlastenden energieintensiven Unternehmen. Hier setzt sich die Bundesregierung für eine bürokratiearme Umsetzung des Beihilferahmens ein.

Unterstützung für eine innovative Stahlproduktion

Die Bundesregierung steht zu ihrer Unterstützung der Stahlindustrie bei der Umstellung auf innovative Produktionsverfahren. Die Förderung erfolgt unter anderem über die Bundesförderung Industrie und Klimaschutz (BIK) und die CO2-Differenzverträge (Klimaschutzverträge) bzw. das IPCEI Wasserstoff.

Zugleich sehen die Verträge vor, dass vom Zuwendungsempfänger ein tragfähiges Konzept zum Standorterhalt und zur Beschäftigungsentwicklung in Bezug auf das transformative Produktionsverfahren verfolgt wird. Auch die anderen Förderprogramme zur Dekarbonisierung der Industrie werden an Vereinbarungen zu Standortsicherung und Beschäftigungsentwicklung geknüpft, um sicherzustellen, dass auch langfristig auf die Wertschöpfung und den Arbeitsmarkt in Deutschland eingezahlt wird.

Im Hinblick auf den Einsatz von Wasserstoff für die Stahlproduktion will die Bundesregierung den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft pragmatisch voranbringen. Für die Dekarbonisierung der Stahlindustrie zu einer klimafreundlichen Produktion müsse bezahlbarer Wasserstoff in ausreichenden Mengen verfügbar sein.

Angesichts des verzögerten Hochlaufs grünen Wasserstoffs drängt die Bundesregierung auf mehr Pragmatismus bei den europäischen Förderkriterien in der Phase des Markthochlaufs. Hierzu gehört auch die Forderung nach mehr Flexibilität bei der Nutzung von Gas statt Wasserstoff in der Stahlproduktion für die im Rahmen der EU-Förderinitiative Important Projects of Common European Interest (IPCEI) geförderten Projekte. Die Bundesregierung will den rascheren Ausbau des Wasserstoffkernnetzes vorantreiben, damit Anlagen zur Stahlherstellung möglichst schnell und in den vereinbarten Zeitplänen angeschlossen werden.

Darüber hinaus waren sich die Teilnehmer über das hohe Potenzial der Kreislaufwirtschaft für die Stahlbranche einig. Hierfür bedarf es effektiver und innovativer Recyclingstrukturen. Im Rahmen der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie wird die Bundesregierung den Fokus neben dem Umwelt- und Klimaschutz auch auf die Resilienzstärkung durch heimische Produktion legen. Sofern die Versorgung mit Stahlschrott als Rohstoff für die Stahlproduktion gefährdet ist, wird sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass erforderliche Maßnahmen ergriffen werden, damit ausreichend Stahlschrott verfügbar ist.

EU Leitmärkte, EU Präferenz-Regelungen

Die Bundesregierung unterstützt die Schaffung und Förderung europäischer Leitmärkte für klimafreundlichen Stahl. Sie wird die Verordnungsermächtigung im Rahmen des Vergabebeschleunigungsgesetzes nutzen und Anforderungen an die Klimafreundlichkeit bei der Beschaffung, unter anderem von Stahl, zeitnah nach Inkrafttreten des Gesetzes in einer Rechtsverordnung vorzugeben.

Die Bundesregierung unterstützt auch die Pläne der EU-Kommission zur Etablierung von Leitmärkten im Rahmen des Industrial Accelerator Act, beginnend mit einem Leitmarkt für klimafreundliche Stahlprodukte. Der Fokus könnte dabei auf der staatlichen Infrastruktur, wie zum Beispiel bei öffentlichen Bau- und Infrastrukturvorhaben, unter anderem der Bahn und auch der Automobilindustrie liegen. Dabei sollen Resilienz- und Nachhaltigkeitskriterien wie CO2-Emissionsintensität gelten. In der deutsch-französischen Wirtschaftsagenda ist für zentrale und kritische strategische Bereiche der industriellen Produktion, einschließlich der öffentlichen Beschaffung, eine rechtlich tragfähige und zielgerichtete EU-Präferenz-Regelung dargelegt.

Die Bundesregierung setzt sich für die Nutzung des Labels für klimafreundlichen Stahl „Low Emission Steel Standard (LESS)“ ein, um neben öffentlichen auch privatwirtschaftliche Leitmarktinitiativen in einer transparenten und bürokratiearmen Weise zu ermöglichen. Auf internationaler Ebene führt die Bundesregierung ihre Führungsrolle im Klimaclub fort, um die internationale Kooperation in der Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie zu verbessern, einheitliche Regeln und Standards für die Grünstahlproduktion zu entwickeln und gemeinsame Leitmärkte zu erschließen.

Auch die Erschließung neuer Märkte wie die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie kam zur Sprache. In Zeiten geopolitischer Spannungen sowie Lieferkettenunterbrechungen dürfen sich Deutschland und Europa in kritischen Wirtschaftsbereichen wie dem Sicherheits- und Verteidigungssektor nicht allein auf Importe verlassen. Grundstoffindustrien wie die Stahlproduktion werden so zu einem Pfeiler wirtschaftlicher Resilienz. Die Bundesregierung wird dafür Möglichkeiten zur Anpassung der Vergabekriterien für den Sicherheits- und Verteidigungssektor prüfen.

Mit der Schaffung und Erschließung neuer Märkte geht zugleich die Anforderung an Unternehmen einher, sich flexibel auf neue Herausforderungen einzustellen und zugleich langfristig an der eigenen Wettbewerbsfähigkeit zu arbeiten. Zu einer zukunftsfesten Perspektive gehören insbesondere Investitionen in Standorte, neue Produktionsverfahren und Produkte sowie die Qualifizierung der Beschäftigten.

Quelle: Wirtschafts­vereinigung Stahl und Bundesregierung (Pressemitteilungen)

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