Am 21. August 2024 wurden von der Bundesregierung Änderungen zur Gefahrstoffverordnung beschlossen. Die Verbände bvse, Abbruchverband Nord, Entsorgergemeinschaften Nord, EGRW und BGL erlauben sich, dazu Stellung zu nehmen:
„Die nun beschlossene Fassung der Gefahrstoffverordnung wandelt die bisher formulierte Erkundungspflicht des Veranlassers von Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen zu einer – lediglich – Mitwirkungspflicht des Veranlasser um, an die ausführenden Unternehmen alle zur Bau- und Nutzungsgeschichte sowie zum Errichtungsdatum vorhandenen Informationen und damit Hinweise zu vorhandenen oder vermuteten Schadstoffen weiterzugeben. Der Gesetzgeber überlässt es dabei dem Veranlasser, welche Daten und Informationen er letztlich weitergibt, und legt es in dessen Ermessen, welcher Aufwand für die Daten- und Informationssammlung akzeptiert bzw. als zumutbar gehalten wird.
Diese Umwandlung stößt in der Recycling- und Entsorgungsbranche insbesondere im Hinblick auf die potentielle Belastung mit Asbest von Gebäuden, mit deren Errichtung vor dem 31.10.1993 begonnen wurde, auf völliges Unverständnis und große Besorgnis. Welches Interesse hat der Veranlasser von Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen daran, Informationen zu liefern, die für ihn am Ende zu einer beachtlichen Baukostensteigerung führen werden? Keines! Diesbezügliche Informationen werden somit zukünftig noch mehr als heute, soweit möglich, nicht weitergeben werden.
Die Folge für die ausführenden Unternehmen wird sein, dass sie sich die Informationen zur
Bau- oder Nutzungsgeschichte, über vorhandene oder vermutete Gefahrstoffe sowie über das Baujahr bzw. den genauen Baubeginn des Objekts selbst beschaffen müssen. Dies ist sehr zeit- und kostenintensiv und in vielen Fällen ohne Unterstützung des Veranlassers gar nicht möglich. Es wird wie auch heute schon Unternehmen geben, die regelkonform arbeiten und deshalb die unabwendbaren Mehrkosten für die Informationsbeschaffung, die Vorerkundung, für arbeits- und gesundheitsschutzbedingte Maßnahmen beim Rückbau sowie für die Entsorgung der entsprechend belasteten Materialien in ihre Angebote mit einkalkulieren. Aber es wird auch wie heute schon Unternehmen geben, die aus mangelnder Fach- und Sachkunde die gesetzlichen Anforderungen gar nicht erfüllen können, oder wissentlich begünstigt durch einen in diesem Bereich fast nicht stattfindenden behördlichen Vollzug, es mit den gesetzlichen Anforderungen nicht so ernst nehmen und somit entsprechend kostengünstigere Angebote abgeben (können) und dann eben auch die Aufträge erhalten.
Die Folge davon ist wiederum, dass bei den Recycling- und Entsorgungsunternehmen in großem Umfang Bauabfälle angeliefert werden, die potentiell mit Gefahrstoffen, insbesondere Asbest, belastet sein können. Verschärft wird die Situation der Entsorgungs- und Recyclingbranche zudem durch die in den Bundesländern zur Anwendung eingeführten aktuellen „Technischen Hinweise zur Einstufung von Abfällen nach ihrer Gefährlichkeit“ (LAGA, 02.2024). Diese geben klar vor, dass Abfälle, deren Herkunft (geographische Lage und Entstehung inkl. Vornutzung, Baujahr, Baubeginn) nicht bzw. nicht ausreichend klar ist, grundsätzlich als gefährliche Abfälle einzustufen sind. Das heißt, die Zuführung dieser Bauabfälle zur Vorbereitung zur Wiederverwendung, zum Recycling und zur sonstigen Verwertung (Verfüllung) ist nicht mehr möglich. Es steht ausschließlich nur noch die Verbringung auf Deponien (Beseitigung) zur Verfügung.
Für den Fortbestand des Recyclings von Bau- und Abbruchabfällen ist es deshalb unabdingbar, dass vorhandene oder vermutete Gefahrstoffe (z. B. Asbest) zuverlässig so frühzeitig wie möglich erkannt und aus dem Stoffkreislauf ausgeschleust werden. Ohne eine zuverlässige, umfängliche und konsequente Vorerkundung und Begutachtung von baulichen oder technischen Anlagen ist dies nicht zu gewährleisten. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der Veranlasser als derjenige, der auch als erster und einziger einen vollumfänglichen Zugriff auf alle erforderlichen Informationen (z. B. Bau- und Nutzungsgeschichte, verwendete Baustoffe, Baujahr, Datum des Baubeginns) hat, verpflichtet ist, die eine vollständige Identifizierung bereits vor der Entstehung der Abfälle zu veranlassen, damit ein selektiver Rückbau durchgeführt und ein asbestfreier Input für die Recycling- und Verwertungsanlagen gewährleistet werden kann (s. a. Beschlussfassung der Umweltministerkonferenz 55/2021).
Nur wenn der Veranlasser von baulichen Tätigkeiten zur Vorerkundung verpflichtet ist, kann
und muss er auf Grundlage des daraus resultierenden Gebäudegutachtens die ausführenden Unternehmen zur Abgabe eines Angebots auffordern. Dieses Gutachten ist dann auch die Grundlage für die Ausführung der baulichen Tätigkeiten. Nur so kann sichergestellt werden, dass Gefahrstoffe aus dem Abbruch (z. B. Asbest) zuverlässig aus dem Stoffkreislauf ausgeschleust werden können. Der behördliche Vollzug kann dies allein schon auf Grund fehlender personeller Kapazitäten nicht leisten.
Mit der Abkehr von der Pflicht zur Vorerkundung für den Veranlasser verpasst der Gesetzgeber die Chance, Probleme zu lösen und strukturelle Verbesserungen vorzunehmen. Ganz im Gegenteil: Diese neue Regelung wird mehr Probleme generieren, die wirtschaftliche Existenz und das Fortbestehen vieler klein- und mittelständischer Unternehmen gefährden und die Ziele der Kreislaufwirtschaft, der Ressourcenschonung, einer nachhaltigen Bauwirtschaft und des Umweltschutzes konterkarieren.
Wir möchten Sie deshalb bitten, im weiteren Gesetzgebungsverfahren über den Bundesrat darauf hinzuwirken, dass die Mitwirkungspflicht des Veranlassers wieder zu einer Vorerkundungspflicht des Veranlassers abgeändert wird und damit die rechtliche Grundlage zu schaffen, um den Auftraggeber bzw. Bauherrn (Veranlasser) im Vorfeld einer Beauftragung verpflichten zu können, sämtliche Informationen zu Art und Umfang vorhandener Gefahrstoffe zu ermitteln und dem Auftragnehmer zu übergeben zu müssen. Für weitere Fragen oder aber gerne auch ein persönliches Gespräch stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.“
Die Stellungnahme wurde verschickt an den Bundesrat (Ausschüsse für Arbeit, Integration und Sozialpolitik, Finanzen, Gesundheit, Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Wirtschaft und Städtebau, Wohnungsbauwesen und Raumordnung) und an die Bau-, Umwelt-, und Wirtschaftsministerien des Bundes und der Bundesländer.
Quelle: bvse, Abbruchverband Nord, Entsorgergemeinschaften Nord, EGRW, BGL (Verbändestellungnahme)