Dr. Nils Jannsen, Leiter Konjunktur Deutschland am IfW Kiel, kommentiert die aktuellen Zahlen zur Industrieproduktion des Statistischen Bundesamtes, wonach diese im Juni um 0,7 Prozent gestiegen ist:
„Die Industrieproduktion sendet vorsichtige Erholungssignale. Im Juni ist die Industrieproduktion den dritten Monat in Folge gestiegen. Nach dem Rückschlag vom März befindet sich die Produktion aber immer noch unter dem Niveau, das vor dem Beginn des Krieges erzielt wurde. Auch im längerfristigen Vergleich ist das Produktionsniveau weiterhin ausgesprochen niedrig: Vor der Pandemie war zuletzt im Jahr 2013 ein solch niedriges Niveau verzeichnet worden, und kurzfristig deuten die Frühindikatoren für den Juli wieder auf eine etwas schwächere Entwicklung hin. Durch das Niedrigwasser im Rhein droht der Industrie weiteres Ungemach.
Seit Mitte Juli sind die Pegelstände im Rhein so niedrig, dass sie den Frachtverkehr spürbar beeinträchtigen. In der Vergangenheit ist die Industrieproduktion um etwa 1 Prozent gedrückt worden, wenn die Pegelstände eine kritische Marke für einen Zeitraum von 30 Tagen unterschritten haben. Im Jahr 2018, als die Schifffahrt auf dem Rhein zuletzt für längere Zeit durch Niedrigwasser behindert wurde, wurde die Industrieproduktion in der Spitze um etwa 1,5 Prozent gedrückt.
Insgesamt wären solche Einbußen schmerzhaft, im Vergleich sind die negativen Auswirkungen der Lieferengpässe aber deutlich größer: Bis zuletzt blieb die Industrieproduktion aufgrund der Lieferengpässe um 7 Prozent hinter dem Niveau zurück, das angesichts der Auftragseingänge zu erwarten wäre. Zusätzliche Belastungen könnten allerdings daraus resultieren, dass die Binnenschifffahrt ein relativ wichtiges Transportmittel für Energierohstoffe ist.
Insgesamt ist die Auftragslage aber weiterhin gut, sodass die Industrie in den kommenden Monaten zu einer wichtigen Stütze der Konjunktur werden kann, wenn die Lieferengpässe nachlassen. Bis zum Mai – aktuellere Daten liegen noch nicht vor – haben sich bei den Unternehmen seit dem Beginn der Pandemie durch die Lieferengpässe zusätzliche Aufträge im Umfang von mehr als 15 Prozent einer Jahresproduktion aufgestaut. Zwar können die Auftragsbestände bei dem gegenwärtigen schwachen weltwirtschaftlichen Umfeld durch Stornierungen rasch abschmelzen – ein solches Phänomen war während der globalen Finanzkrise zu beobachten. Unternehmensbefragungen zufolge haben sich die Auftragsbestände bis zum Juli aber nicht deutlich verschlechtert. Somit hat Industrieproduktion viel Luft nach oben.”
Quelle: IfW Kiel