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„Einen Markt für Recyclate schaffen“ – Interview mit Dr. Helge Wendenburg

Die hohe Innovationsorientierung mittelständischer Unternehmen hat „Recycling made in Germany“ zur Erfolgsgeschichte gemacht. Doch Kapazitäten müssen jetzt dringend weiter ausgebaut und Investitionshürden abgebaut werden. Über die Bedeutung des Mittelstandes für die Kreislaufwirtschaft und deren Fortentwicklung hat RecyAktuell (bvse) mit dem ehemaligen Abteilungsleiter für Wasserwirtschaft und Ressourcenschutz im Bundesumweltministerium, MinDir. Dr. Helge Wendenburg, gesprochen.

Dr. Wendenburg, die öffentliche Diskussion zum Klimawandel und neue Gesetzesvorgaben auf EU- und nationaler Ebene haben die Prioritäten in der Wirtschaft verändert. Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschutz sind deutlich in den Fokus gerückt. Was ist Ihrer Meinung nach derzeit das wichtigste Thema für die Kreislaufwirtschaft – welche Ziele  wurden schon erreicht? Wo sehen Sie Nachholbedarf?

Das wichtigste Thema ist, einen Markt für Recyclate und aus diesen hergestellte Produkte zu schaffen. Dabei kann insbesondere die Marktmacht der öffentlichen Hand, unserer Städte, Gemeinden und Kreise, aber auch Land und Bund viel bewirken – man stelle sich nur vor, eine großes Markenunternehmen verlöre einen Bundeswehrauftrag, weil die Flaschen oder Behälter für Putz- und Reinigungsmittel nicht aus Recyclat hergestellt wurden; dies würde zu einem schnellen Umdenken führen. Der neue Paragraf 45 KrWG-E bereitet genau solche Situationen vor. Dazu kommt, dass durch Normsetzung im DIN, aber auch auf europäischer und internationaler Ebene Rahmenbedingungen für Recyclate gesetzt werden können, die helfen, deren Einsatz zu steigern. Dazu bedarf es nicht der gesetzlichen Vorgabe eines “recycelt content”, wie wir ihn jetzt in der EU-Einwegplastik-Richtlinie erleben. Ich bin gespannt, wie die EU ein den EFSA-Vorschriften entsprechendes Einsammeln von PET-Getränkeflaschen organisieren will, um die Mengen an PET-Recyclaten zu generieren, die wieder in Getränkeflaschen eingesetzt werden dürfen.

Welche Rolle werden aus Ihrer Sicht insbesondere die mittelständischen Unternehmen für die Fortentwicklung der Kreislaufwirtschaft spielen?

Gerade mittelständische Unternehmen sind an einfachen, an der praktischen Umsetzung orientierten Lösungen interessiert. Diesen Blickwinkel in die Normung einzubringen, kann sehr hilfreich sein. Viele beklagen, dass es keinen großen Anbieter gäbe; dass nicht genügend Masse gekauft werden könne. Die Antwort sollte nicht sein, ein großes Recyclingunternehmen zu schaffen, sondern die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass von vielen Recyclingunternehmen Recyclate gleicher Art und Güte gekauft werden können. Hier kann wiederum Normung hilfreich sein, wenn sie nicht zusätzlichen bürokratischen Aufwand hervorbringt.

Die KMU der Recycling- und Entsorgungsbranche sind vor allem eines: Innovative Vorreiter, wenn es um Ressourcen- und Umweltschutz geht. Doch im Tagesgeschäft bleibt der für Innovationen nötige Freiraum und die Konzentration auf das Kerngeschäft durch zunehmende Bürokratie immer mehr auf der Strecke. Investitionsbereitschaft und Modernisierungswillen scheitern an zu hohen Auflagen zur Genehmigung. Wo sehen Sie Ansätze/Chancen zur Verbesserung im gesetzlichen Rahmen?

Die Ursache für Bürokratie liegt meistens nicht in den gesetzlichen Regelungen, sondern häufig im selbst gemachten Regelwerk: Arbeitsschutz und Betriebssicherheit beruhen vor allem auf den Regelungen der Berufsgenossenschaften, nicht den Gesetzen. Auch Industrienormen enthalten viel Bürokratie. So dürfen in Abwasserrohren Recyclate nur eingesetzt werden, wenn bei jeder Lieferung die Übereinstimmung mit der vereinbarten Spezifikation bescheinigt wird. Das geht einfacher. Auch die Abgrenzung der Gefährlichkeit in unterschiedlichen Rechtsbereichen bedarf der Überarbeitung: was als Chemikalie gefährlich ist, macht, wenn dieser Stoff in einem Abfallgemisch enthalten ist, dieses Gemisch nicht zu einem gefährlichen Abfall mit entsprechenden Genehmigungsanforderungen.

Dr. Wendenburg, vor zwei Jahren wurde Ihnen im Rahmen des bvse-Messeabends zur IFAT der Mittelstandspreis für das Recycling „Die Grünen Engel“ verliehen. Wenn wir uns die Bilder der vergangenen Preisverleihung anschauen, ist nicht zu übersehen, dass Sie sich, obwohl vielfach ausgezeichnet, sehr über den grünen Holzengel für das „Lebenswerk Nachhaltige Umweltpolitik“ gefreut haben. Auch in diesem Jahr, sind Sie bei der Verkündung der Wettbewerbsgewinner auf dem bvse-Messeabend am 6. Mai in München wieder dabei. Was verbinden Sie mit diesem Preis?

Einen Branchentreff des recyclingorientierten Mittelstandes, bei dem praxisnahe, nachahmbare Innovationen ausgezeichnet werden und gleichzeitig viel Zeit zum Netzwerken bleibt.

Und noch eine abschließende neugierige Frage: Wo hat denn der grüne Holzengel ein Ehrenplätzchen gefunden?

Er steht in meinem Arbeitszimmer im Bücherregal hinter mir und schaut mir über die Schulter zu, wenn ich die aktuelle Kreislaufwirtschaft kommentiere.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Wendenburg!

Hinweis zum bvse-Messeabend und Verleihung des Mittelstandspreises: Der bvse-Messeabend mit Preisverleihung findet in diesem Jahr am Mittwoch, 6. Mai 2020 ab 18.30 Uhr in der Traditionsbrauerei Paulaner am Nockherberg in München statt.

Bereits zum 4. Mal schreiben der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung und „Die Grünen Engel“ – Aufbereitungszentrum Nürnberg den Wettbewerb um den Mittelstandspreis für das Recycling aus. Der erstmals in 2014 vergebene Award zeichnet Unternehmen und Personen der Branche aus, die sich mit großem politischem und unternehmerischem Engagement und innovativen Ideen in besonderer Weise um die Kreislaufwirtschaft verdient gemacht haben.

Die Bewerbungs-/Nominierungsphase für „Die Grünen Engel 2020“ läuft noch bis 10. März 2020.

Teilnahmeformular und weitere Informationen – Anmeldung zum bvse-Messeabend mit Preisverleihung

Quelle: RecyAktuell/bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. (Interview zur Veröffentlichung auf Recyclingportal.eu freigegeben)

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