Pegnitz — Der Streit um die Zulässigkeit alter oder neuer Mengenclearingverträge schwelt weiter. Einen Beitrag zur Klärung des Sachverhalts hat jetzt Eva-Maria Schulze, Abteilungsleiterin im Bundeskartellamt, geliefert. Sie nahm zu kartellrechtlichen Fragen in Bezug auf die Clearingverträge der dualen Systeme Stellung.
Mit Rückgriff auf diesen Beitrag lassen sich nach Darlegung von BellandVision folgende Kernaussagen ableiten:
- Die neuen Clearingverträge (bisher gezeichnet von BellandVision, DSD, Interseroh und Reclay) sind erforderlich, um ein ordnungsgemäßes Clearing sicherzustellen und gehen über das dafür notwendige Maß nicht hinaus. Bis auf wenige Detailregelungen (Mengenzuweisungsregelungen in § 1 Absatz 7), die einer Korrektur bedürfen, um die entsprechenden Regelungen kartellrechtskonform auszugestalten, sind die neuen Clearingverträge in ihrer Gesamtheit kartellrechtskonform.
- Die aktuellen Clearingverträge (von allen Systemen bis auf RKD, Noventiz und ELS gekündigt zum 31.12.2017) sind ab dem 1.1.2018 in ihrer Gänze kartellrechtswidrig, damit zivilrechtlich nichtig und dürfen nicht weiter praktiziert werden.
- Die Altvertragsregelungen in den aktuellen Clearingverträgen einschließlich Ergänzungsvereinbarung 2016 sind bereits jetzt kartellrechtswidrig. Damit gilt auch für Altverträge bereits in 2017 insbesondere die Verpflichtung zur Mengenidentität zwischen DIHK und Clearingstelle.
- Aktuell haben nur vier duale Systeme (BellandVision, DSD, Interseroh und Reclay ) zu Beginn des Jahres 2018 einen Clearingvertrag, sechs duale Systeme haben hingegen keinen.
Daraus soll folgendes Fazit zu ziehen sein: Die alten Versionen der Clearingverträge sind ab 2018 nichtig. Es gibt nur einen neuen wirksamen Clearingvertrag ab 2018. Damit alle gemeldeten dualen Lizenzmengen der Erstinverkehrbringer in das Clearing 2018 korrekt einbezogen werden können, ist es jetzt dringend notwendig, dass die noch vertragslosen Systembetreiber bis spätestens Ende 2017 dem neuen Clearingvertrag 2018 beitreten. Ansonsten stellt sich die Frage, wie die derzeit vertragslosen Systembetreiber für die Beteiligungsmengen ihrer Kunden den gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen als duales System korrekt nachkommen wollen.
Diese Kernaussagen lassen sich aus den – nachfolgend zusammengefassten – Passagen des Fachberichtes herleiten:
Verpflichtung zur Mengenidentität und Altvertragsregelung
- In der Ausgestaltung der Clearingverträge sind die dualen Systeme kartellrechtlich insoweit frei, als dass sie beliebige Prüf- und Berechnungsmechanismen wählen können, solange diese ein funktionierendes Clearing gewährleisten und keine Regelungen enthalten, die über das dafür erforderliche Maß an Wettbewerbsbeschränkungen hinausgehen.
- Das Clearing funktioniert nur dann, wenn die Clearingverträge im Ergebnis sicherstellen, dass jedes duale System entsprechend seiner tatsächlichen Lizenzmenge an den Entsorgungskosten beteiligt ist und eine einheitliche Prüftiefe gewährleistet ist. Daher setzt ein funktionierendes Clearing voraus, dass die Möglichkeit, sich nicht an vereinbarte Regelungen zu halten, dadurch wirksam begrenzt wird, dass die System-Wirtschaftsprüfer (als einzig effektive Kontrollinstanz) in die Lage versetzt werden, deren Einhaltung zu überprüfen.
- Die Ausnahmeregelungen in den aktuellen Clearingverträgen für Altverträge ist dann kartellrechtswidrig, wenn sie so interpretiert werden kann, dass Wirtschaftsprüfer einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Mengenidentität zwischen Meldungen an den DIHK und der Clearingstelle unbeanstandet lassen und Mengenmeldungen in die Clearingstelle trotz einer Differenz zwischen beiden Meldungen mit einer uneingeschränkten Prüfbescheinigung versehen.
- Die Entwicklung der Mengendifferenz zwischen DIHK-Meldungen und Meldungen in die Clearingstelle im Jahr 2016 hat gezeigt, dass die Altvertragsregelung auch in ihrer Fassung durch die Ergänzungsvereinbarung 2016 dazu führt, dass eine erhebliche Marktmenge keiner einheitlichen Prüftiefe unterliegt. Da die Ergänzungsvereinbarung eine Deckelung der Menge auf dem Niveau des Jahres 2016 vorsieht, ist zu erwarten, dass sich die Differenz auch im Jahre 2017 in gleicher Größenordnung bewegt. Die Altvertragsregelungen (einschließlich der Ergänzungsvereinbarung 2016) der Clearingverträge sind daher ungeeignet, ein funktionierendes Clearing sicherzustellen. Sie sind damit kartellrechtswidrig.
- Darüber hinaus enthalten die aktuellen Clearingverträge keine Regelungen, die ein funktionierendes Clearing für das Leistungsjahr 2018 sicherstellen. Das Fehlen entsprechender Regelungen führt zu einer Kartellrechtswidrigkeit der aktuellen Clearingverträge ab dem 1.1.2018.
Neue Clearingverträge (bisher von vier dualen Systemen gezeichnet)
- Die neuen, bisher zwischen vier dualen Systemen (BellandVision, DSD, Interseroh und Reclay) geschlossenen Clearingverträge adressieren Probleme, die zur Kartellrechtswidrigkeit des aktuellen Clearingvertrages führen. Zudem enthalten sie Regelungen, die gewährleisten sollen, dass durch den Wechsel der Rechtsgrundlage von der VerpackV zum VerpackG die ordnungsgemäße Durchführung der Verpackungsentsorgung auch im Übergangsjahr 2018 nicht gefährdet ist.
- Wenn der gegenwärtige Clearingvertrag ab dem 1.1.2018 kartellrechtswidrig ist, folgt daraus unmittelbar seine zivilrechtliche Nichtigkeit. Er darf ohne Verstoß gegen das GWB nicht weiter praktiziert werden. Dementsprechend bietet er keine Grundlage für ein Clearing. Daher stellt sich gegenwärtig möglicherweise nicht die Frage, wie mit konkurrierenden Verträgen umzugehen ist und ob bereits die Existenz konkurrierender Clearingverträge ein funktionierendes Clearing gefährdet. Es stellt sich vielmehr die Frage, wie ein Clearing funktionieren kann, bei dem (jedenfalls Stand heute) lediglich vier duale Systeme einen Clearingvertrag haben, sechs Systeme dagegen keinen.
- Allein die Existenz jedenfalls von nicht mehr als zwei konkurrierenden Clearingverträgen führt nicht dazu, dass beide (oder auch nur der später vereinbarte Clearingvertrag) Clearingverträge kartellrechtswidrig sind.
- Die neuen Clearingverträge enthalten Regelungen zum Ist-Mengenclearing sowohl für den Fall, dass die Zentrale Stelle im Jahre 2019 befugt ist, die Marktanteilsfeststellung bereits für die Ist-Mengenmeldung für das Leistungsjahr 2018 vorzunehmen, als auch für den Fall, dass diese Ansicht unzutreffend sein sollte. Die getroffenen Regelungen sind erforderlich, um ein ordnungsgemäßes Clearing sicherzustellen, sie gehen über das dafür notwendige Maß nicht hinaus. Das gilt auch für die Regelung, die bestimmt, dass Rechtsstreitigkeiten über von der Zentralen Stelle festgestellte Marktanteile das Clearing erst dann beeinflussen, wenn ein rechtskräftiges Urteil dies bestimmt oder die Zentrale Stelle ihren Verwaltungsakt ändert. Auch diese Regelung ist für ein funktionierendes Clearing unerlässlich. Andernfalls wäre nicht nur das Clearing, sondern die Aufrechterhaltung des privatwirtschaftlich organisierten Entsorgungssystems insgesamt gefährdet.
Erweiterte Kompetenzen und Pflichten für System-Wirtschaftsprüfer
Die in den neuen Clearingverträgen enthaltenen Regelungen entsprechen den Anregungen des Bundeskartellamtes an die dualen Systeme. Sie sind geeignet und erforderlich, um ein funktionierendes Clearing sicherzustellen und gehen über das dafür notwendige Maß nicht hinaus.
- Das Bundeskartellamt hatte bei einer entsprechenden Prüfung für das Leistungsjahr 2015 festgestellt, dass Systeme eine Mengenidentität zwischen DIHK Zahlen und Meldungen in die Clearingstelle lediglich zum Stichtag der Prüfung durch den System-Wirtschaftsprüfer herstellen, zum Jahresende jedoch eine ganz erhebliche Mengendifferenz aufweisen. Ein funktionierendes Clearing ist aber dann nicht mehr gewährleistet, wenn große Mengen nachträglich gemeldet werden und nicht sichergestellt werden kann, dass der System-Wirtschaftsprüfer davon Kenntnis erhält und er so nicht überprüfen kann, ob diese auch entsprechend nachgemeldet werden. Die Regelungen, die dem System-Wirtschaftsprüfer einen eigenständigen, vom Systembetreiber unabhängigen jederzeitigen Zugriff ermöglichen, dienen dieser Überprüfung. Die Vorgaben über die Häufigkeit der unangekündigten laufenden Kontrolle dienen der Sicherstellung, dass es nicht bei einem theoretischen Recht des System-Wirtschaftsprüfers bleibt, sondern die Systembetreiber darauf vertrauen können, dass der System-Wirtschaftsprüfer diese Prüfkompetenz tatsächlich wahrnimmt.
- Die Pflicht, sich Debitoren- und Kreditorenlisten vorlegen zu lassen, ermöglicht dem System-Wirtschaftsprüfer bei der Prüfung der Vollständigkeit der Vertragsmengen, diese mit bei dem Systembetreiber eingehenden Zahlungen abzugleichen.
Verbot der Zuweisung durch duale Systeme
Teile der in § 1 Absatz 7 geregelten Zuweisungsregelungen sind zwar geeignet, ein funktionierendes Clearing zu gewährleisten. Sie gehen jedoch in ihrer derzeitigen Formulierung jedenfalls dann über das erforderliche Maß hinaus, wenn die Zentrale Stelle bereits für das Jahr 2018 Marktanteile feststellen könnte, was allerdings nicht sicher ist. Zumindest sind strengere Regelungen nicht unbefristet erforderlich.
Der vollständige Beitrag von Eva-Maria Schulz über „Aktuelle kartellrechtliche Fragestellungen in Bezug auf die Clearingverträge der dualen Systeme“ ist in der Zeitschrift „Abfallrecht“ (AbfallR 6/2017) erschienen.
Quelle: BellandVision